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Rebell

05.09.09 by Charly Speaks

Prolog

Hallo! Ich will euch eine sehr aufregende Geschichte aus meinem Leben erzählen. Sie begann im Jahre 1997.
Morgen, nur noch ein mal schlafen. Toll, dachte ich und malte mir die Faschingsparty in Gedanken aus. Ob sich Jessica auch über mein Geschenk freuen wird. “Mama”, rief ich und hoffte, dass meine Mutter mir bei der Auswahl meines Faschingkostüms helfen könnte. “Was ist denn?” brüllte diese jedoch genervt von unten zurück. Ich eilte die Treppe hinunter und musste in mich hinein kichern. Es sah auch wirklich zu komisch aus. Meine Mutter hatte ihre Kopfhörer auf, zwischen den Beine den Staubsauger geklemmt, im Mund ihre Sonnenbrille und außerdem kehrte sie gerade eine zerbrochene Vase auf.
“Ma,” sagte ich schließlich und nahm ihr den Staubsauger und die Brille ab “Was soll ich denn zu Fasching anziehen?”
“Ich bin gerade sehr beschäftigt, Schätzchen. Vielleicht später, ok?”
“Mum!”
“Frag Dennis der wird dir sicherlich bei deinen Hausaufgaben helfen.”
“Ich habe gesagt, dass morgen Fasching ist. Was soll ich anziehen?”
“Oh, na dann sag das doch gleich und halte mich nicht immer solange auf, Spätzelchen!Guck auf dem Speicher nach. Da steht auch noch so eine alte Seemannskiste von den Leuten die hier vorher gewohnt haben. Vielleicht findest du da ja noch irgendetwas Brauchbares.”
“Mhm. Ja.” brummte ich zur Antwort, weil auf einen besseren Tipp meiner Mutter gehofft hatte.
Also stapfte ich missmutig auf den Speicher und suchte nach der alten Seemannskiste. In der hintersten Ecke des Bodens fand ich sie schließlich. Da ist sicher nur ein verstaubtes Familienalbum drin, dachte ich mir und lugte hinein. Von wegen Familienalbum. Nichts war drin. Gar nichts. Nur ein bißchen Staub und ansonsten nichts. Doch ich lag falsch, denn als ich die Kiste gerade wieder schließen wollte, fiel mir eine winzige Schriftrolle auf.
Vorsichtig entstaubte ich den alten und sicherlich wertvollen Papyrus. Dann rollte ihn auf und las:

Fliege hiermit weit und schnell,
wohin du willst,
werde Rebell.

Doch sei gewarnt,
wenn der Tod kommt
und dich enttarnt.

Nie mehr kommst du zurück,
finde vor langer Zeit dein Glück.

Ich las das Gedicht mehrere Male, aber begriff seinen Sinn nicht. Ich versuchte systematisch vorzugehen. Also sollte ich mit diesem Papier irgend wohin fliegen. Aber ich war doch kein Inder mit fliegendem Teppich bzw. mit fliegendem Papier.
Nein, so gut ich es versuchte, ich verstand noch nicht einmal die erste Zeile.
Doch plötzlich kam mir die Idee. Ich sollte mit der Kiste fliegen. Aber warum sollte ich Rebellin werden? Vielleicht, dachte ich mir, musste ich irgendwas verhindern. Jetzt blieb mir nur noch die Sache mit dem Tod. Was ergab das bloß für einen Sinn?
Beim Abendessen las ich meinem großen Bruder Dennis das Gedicht vor, verriet ihm aber nicht, woher ich es hatte.
“Ist doch ganz einfach, Judy. Es heißt, dass du in die Vergangenheit reisen sollst um dort jemanden zu retten. Wenn du dort stirbst bist du in einer Zeitschleife gefesselt. Was gibt es da nicht zu verstehen?”
“Dennis du bist einfach klasse.” Ich sprang auf und war schon auf dem Weg in mein Zimmer, als Dennis zu mir sagte: “Jetzt sehen wir dich nie wieder und müssen um dich trauern, weil du mit einer Zeitmaschine wegfliegst.” , er grinste und fügte flüsternd hinzu: “Hoffentlich, dann bin ich dich nämlich endlich los.” Ich streckte ihm die Zunge raus, so etwas war also in unserer Familie Geschwisterliebe. Auf dem Speicher angekommen, atmete ich tief durch und setzte mich, den Papyrus in der Hand in die Kiste, die erstaunlich groß war. Wie automatisiert ging der Deckel der Seemannskiste oder besser gesagt der Zeitmaschine zu. Es war dunkel. Ich konnte noch nicht mal mehr meine eigene Hand vor Augen sehen. Plötzlich sagte eine Stimme: “Willkommen!” und ein Zahlenfeld mit allen Zahlen von eins bis zehn wurde vor mir sichtbar. “Bitte wählen Sie ein Datum!” Ich wählte meinen Geburtstag. “Achtundzwanzigster Erster Neunzehnhundertvierundneunzig.” wiederholte die Stimme das eingegebene Datum. Wieder wurde alles schwarz um mich herum und nach kurzer Zeit tauchte ein neues Feld vor mir auf. Diesmal war es mit Buchstaben. Ich tippte meinen Namen ein und erschrak zu Tode als die Stimme sagte: “Der Ort Judy existiert nicht.” Woher sollte ich auch wissen, dass ich nicht meinen Namen sondern einen Ort eingeben sollte. Schnell tippte ich Berlin West-Krankenhaus ein. Alles wurde wieder schwarz und dann ging der Deckel wieder auf. Ich stieg aus der Kiste heraus, die sich kurz darauf in eine Streichholzschachtel verwandelte. Ich packte sie ein und ging durch das Krankenhaus. Alle schauten mich sehr komisch an. Da bekam ich die Idee, mich als Krankenschwester zu verkleiden.
Kurze Zeit später kam ich so verkleidet aus dem Schwesternzimmer und fragte mich durch bis zur Geburtsstation, indem ich mich als neue und unerfahrene Schwester ausgab. Aus einem Zimmer hörte ich Geschrei. Ich ging zur Tür und lauschte. Mein kleiner Bruder schien nicht gerade über mein Dasein erfreut zu sein. Ich aber auch nicht, denn ich schrie ebenfalls wie am Spieß. Da hörte ich wie meine Mutter rief: “Schaff mir Dennis aus dem Raum. Unsere kleine Judy braucht jetzt viel Ruhe.”
Schon kam mein Vater mit Dennis aus dem Zimmer und sah mich verwundert an. “Sagen Sie mal, lauschen sie etwa?”
“Papa! Dennis!” rief ich voller Freude. Doch mein Vater konnte mich ja gar nicht kennen, weil ich eigentlich ein paar Meter hinter ihm in den Armen meiner Mutter lag und mir wie eine Verrückte die Seele aus dem Hals schrie. “Was bitte?Ich verstehe nicht recht.” sagte Papa verwundert. Schon in Ordnung, Paps, dachte ich. “Oh Verzeihung ich habe sie für jemand anderes gehalten.” nuschelte ich mit verstelltem Aktzent. Mein Vater musterte mich kopfschüttelnd und ging. Auch ich verzog mich in eine Ecke, zog mich um und legte die Streichholzschachtel auf den Boden, die sogleich zur Zeitmaschine wurde. Ich fuhr auf gleichem Weg, wie ich gekommen war wieder nach Hause.
“Dennis, du hast ja so etwas von Recht!” rief ich vom Speicher aus. Ich rannte in Dennis` Zimmer, doch da war er nicht.
“Dennis?” rief ich. “Ja doch! Was willst du denn, du Nervensäge. Als erstes verschwindest du wie ein Blitz und eine Minute später brüllst wie eine Verrückte nach mir.” Ich stand nun völlig verblüfft, aber auch belustigt neben ihm. “Was? Eine Minute sagst du? Das gibts doch nicht. Ich war doch mehr als eine halbe Stunde weg.”
Da stand meine Mutter auf und fühlte meine Stirn. “Du wirst doch nicht etwa krank, oder, Liebes?”
“Ma, ich war bei meiner Geburt und…irgendwie ist die Zeit stehengeblieben als ich mit der alten Seekiste zum West-Krankenhaus gefahren bin. Geflogen!”
“Geflogen?” Meine Mutter wechselte einen verwunderten Blick mit Dennis. “Komm, Judy! Leg dich ins Bett und ruh dich erst einmal aus.” sagte meine Mutter schnell und schob mich in mein Zimmer. Dennis rief uns noch hinterher, dass das die Pubertät sei und Mama jetzt stolz sein könnte, weil ich endlich erwachsen werden würde.
“So ein Blödsinn, Ma! Dennis redet wirklich nur doofes Zeug. Glaub mir doch. Die alte Seemannskiste ist eine Zeitmaschine. Glaub mir, bitte!”
“Warum lügst du nur so böse? Haben wir dich etwa so schlecht erzogen, dass du jetzt mit größter Überzeugungskraft versuchst, mir einen solchen Unsinn einzureden?” Mama sah mich nachdenklich an. “Oder bist du wirklich so krank im Kopf?” Ich zuckte mit den Achseln, weil ich sie nicht noch mehr verärgern wollte.
Meine Mutter telefonierte. Dem Gespräch nach zu Folge mit einer Psychiaterin. So ein Mist, dachte ich und stand auf.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und schrieb eine Liste mit dem, was ich alles in der Vergangenheit vorhatte.
Sie wurde lang. Sehr lang. Schließlich vielen mir die Augen zu und ich schlief ein.
Dies war der Anfang meines Abenteuers.

1.
Langsam öffnete ich die Augen. Die Sonne schien durch mein Fenster und ihre Strahlen fielen mir direkt ins Gesicht. Ich schaute benommen aus dem Fenster. Da waren viele Kinder mit bunten Kostümen an. Bunte Kostüme? Heute war doch die Faschingsfeier und ich hatte immer noch kein Kostüm. Meine Uhr verriet mir das ich nur noch eine Stunde Zeit hatte also musste ich mich beeilen. Ich rannte nach unten. “Judy, Liebes bist du das?” rief meine Mutter mir entgegen.
“Ja!”
“Hast du dich ein bisschen vom gestrigen Tag erholt?” Ich schwieg. “Naja, wir müssen nicht darüber reden, wenn du das nicht möchtest. Aber nachher kommt Mrs. Moredean, eine sehr nette Frau, die ein bisschen mit dir reden möchte…”
“Ma, das nennt man Psycho-Doc!” motzte ich. “Judy, deine Mutter möchte nur das beste für dich. Du weißt genauso gut wie ich, dass man nicht in die Vergangenheit reisen kann!” mischte sich nun auch mein Dad ein. Eltern halten eben immer gegen einen zusammen und auf Dennis könnte ich noch nicht einmal bauen, wenn er schon wach wäre. Also wollte ich meinen Vater testen: “Als ich geboren wurde, ist dir da ein Mädchen, dass genauso aussah wie ich als Krankenschwester verkleidet aufgefallen?”
“Nein.” antwortete mein Vater genervt. “Hast du damals nicht an meinem Geburtstag Dennis aus dem Zimmer gebracht und dabei eine Krankenschwester beim lauschen erwischt?”
“Doch, jetzt errinnere ich mich. Aber das hatte ich dir doch nie erzä…Darauf willst du hinaus!Du hast dir eine Szene aus der Vergangenheit herausgesucht, die ich warscheinlich schon längst vergessen habe um so zu tun als wärst du dort gewesen…” Ich unterbrach meinen völlig aufgebrachten Dad: “Aber das war ich. Echt!Ihr musst mir glauben, bitte.”
“Judy!Jetzt ist es auch nicht mehr lustig oder so. Setz dich hin und frühstücke, ich will nichts mehr hören!” brüllte mich mein Vater an. Da erschien Dennis in der Tür. Seine schwarzen langen Haare lagen kreuz und quer und er blickte noch sehr schläfrig drein. “Könnt ihr nich leiser streiten. Gegen euer Gebrüll wäre sogar eine hundertköpfige Elefantenherde leiser.” Mum und Dad schmunzelten über Dennis` “tollen” Witz, aber als Dennis sich mir gegenüber hinsetzte und ich etwas sagen wollte aßen sie stumm weiter und guckten mich nur gelegentlich böse an. Ich setze erneut an: “Dad, ich werde dir jetzt sagen, dass du gleich nicht mehr sauer auf mich seien wirst weil ich…”
“Lass mich raten,” fuhr mir Dad böse dazwischen du fährst gleich mit deiner Zeitmaschine in die Vergangenheit und machst alles rückgängig. Stimmts?”
“Ja, und…!” versuchte ich alles zu erklären.
“Los auf dein Zimmer, ich will nichts mehr hören.” brüllte mich nun mein Vater an. Ich stürmte tatsächlich in mein Zimmer, enttäuscht darüber wie wenig mir meine Eltern doch vertrauten, und bekam noch mit wie meine Mutter sagte: “Sie kann doch nichts dafür, Tom!” warscheinlich sagte sie das um meinen Vater zu beruhigen und ich drehte total durch. Warum waren meine Eltern nur so grausam. Man sollte sie noch nicht einmal Kinder haben lassen dürfen. Ich war so fix und fertig, dass ich weinte. Nein, ich heulte mir die Seele aus dem Leib. Als ich mich wieder beruhigt hatte klopfte meine Mutter an die Zimmertür. “Ja, was ist?” rief ich genervt.
“Telefon! Es ist Jessica. Wenn du reden möchtst dann…” Ich grapschte ihr das Telefon aus der Hand und knallte ihr die Tür vor der Nase zu. “Ja?” rief ich in den Hörer und zog möglichst leise die Nase hoch. “Judy, wir warten nur noch auf dich. Heute ist doch meine Faschingsparty. Bist du krank?”
“Oh, sorry. Ich…ich habe kein Kostüm und…” stotterte ich.
“Das ist nicht schlimm. Es sind einige ohne Kostüm hier. Komm einfach so, wir können dich auch hier noch ein bisschen schminken, ok?”
“Gut, ich bin in ein paar Minuten bei dir.” Ich legte auf, warf das Telefon auf mein Bett, zog mir meine Schuhe an und hastete die Treppe hinunter nach unten. Dort erwartete mich meine Mutter mit einer Jacke in der Hand und sagte lächelnd: “Um fünf bist du bitte wieder zurück, weil da Mrs. Moredean kommt und sie hat ohnehin nicht soviel Zeit…” Ich riss ihr sauer die Jacke aus der Hand, ging nach draußen und knallte die Tür möglichst laut zu, weil ich meine Eltern ärgern wollte. Schließlich hatten sie ein bisschen Boshaftigkeit verdient, oder? Ich beeilte mich um meinen Bus noch rechtzeitig zu erwischen, doch als ich an der Haltestelle ankam fuhr er gerade weg. Ich setzte mich auf den Bordstein am Straßenrand und stützte das Gesicht in die Hände. Irgendwie hat sich mein Leben seit gestern schlagartig verändert. Jetzt halten mich meine Eltern für verrückt, eine Psychiaterin wird mich warscheinlich täglich ausquetschen und nerven und ich fühle mich echt total unwohl. Plötzlich kam ein Bus. Ich schaute auf die Uhr. Es war elf Uhr und um diese Uhrzeit fuhr hier gar kein Bus lang. Es musste wohl eine Dienstfahrt, so etwas wie eine Probefahrt sein. Trotzdem stand ich auf und trat zurück als wollte ich in den Bus. Er hielt sogar. Nun betrachtete ich ihn genauer. Es war ein alter roter Doppeldeckerbus. Komisch, sowas gibt es doch heutzutage gar nicht mehr, oder. Vielleicht ist es ja so eine Art Spielebus, mit Betreuern darin, wo die Kinder Nachmittags hingehen können und spielen dürfen.
Die Türen öffneten sich und ein Mann in einer sehr altmodischen Uniform sprang heraus. “Ah, was für ein schöner Tag heute.” sagte der komische Typ und mir ging ein Licht auf. Heute war doch Fasching, dann war das sicherlich die beste Verkleidung die ich jemals in meinem Leben gesehen hatte. Der Mann kam auf mich zu und räusperte sich: “Wissen Sie zufällig wer in dem Haus dort wohnt?” fragte er und zeigte dabei auf mein Haus. “Ja, da wohne ich.” sagte ich und wurde nervös. Was wollte der nur? “Oh, es war tragisch. Der letzte Cistolaner kam dort vor vier Jahren ums Leben.” Ich nahm an, dass der Mann geistesgestört war und wandte mich ab. “Komm, Judy es ist Zeit. Wohin soll ich dich bringen?” Ich starrte ihn an. Woher kannte er meinen Namen. Ich wusste mir nicht anders zu helfen als zu lügen: “Ich bin nicht Judy, ich heiße…ehm…”
“Aber du wohnst doch da vorne oder nicht?Das meintest du doch eben noch?”
“Ich…wohin fahren sie denn?”
“Zurzeit nur noch in die Vergangenheit. Früher sind wir auch in die Zukunft gereist aber dafür reicht der Sprit nicht mehr, der ist nämlich sehr teuer heutzutage, was meinst du?” Ich schob meinen Mund, der vor lauter Staunen offen stand, wieder zu. “Ich würde gerne zu Jesus reisen wenn das ginge.” hauchte ich benommen, weil ich ein großer Bibel- und Jesusfreak war. “Na klar, aber es dauert schon so seine Zeit. Steig ein!” Als ich endlich begriff was ich soeben getan hatte, war es schon zu spät. Ich saß im Bus und er fuhr los. Ich schaute aus dem Fenster und sah nur schwarz. Ja, der ganze Bus war von Rabenschwärze umhüllt. “Was haben sie da eben von Cistolanern geredet?Und was war mit dem Mann der vor mir im Haus lebte?” fragte ich als ich meine Stimme wiedergefunden hatte. “Er war ein Cistolaner. Das heißt er benutzte die Kiste so wie du. Man kann sie aber nur einmal verwenden und wenn man trotzdem in die Vergangenheit möchte komme ich dein persönlicher Choffieur. Der arme Mann, der vor dir dort wohnte, hieß übrigens Mensch1234670. Er kam aus dem Jahre 2145 und benutzte die Kiste so wie du. Seine Fahrten waren immer sehr hilfreich ohne ihn wäre John Lennon von den Beatles z.B. schon kurz nach seiner Geburt umgebracht worden. Seine letzte Fahrt endete bei in deiner Heimatstadt, die er so schön fand, dass er sich dort umbrachte, damit ich nie wieder mit dem Bus zu ihm kam und ihn zu neuem Tatendrang brachte. Denn immer wenn er den Bus sah wollte er unbedingt wieder jemandem in der Vergangenheit helfen. So kam ich nie wieder und er lebte sehr glücklich in deinem Haus unter dem Namen Corbin Felsh. Ich kann ja gut verstehen, dass er aus seinem Zeitalter herauswollte, denn da hatten die Menschen keine Namen mehr wie du und ich. Nein, sie wurden einfach abgezählt: Mensch1, Mensch2, Mensch3 und so weiter. Schlimm!” Der Typ seufzte und ich nutzte diese Pause um auch mal in seinem ganzen Geschwätz zu Wort zu kommen: “Wie heißen Sie eigentlich und wer denkt sich so etwas mit diesen Namen aus?”
“Ich heiße Damion und bin übrigens der Erfinder dieser Zeitmaschine, die eher durch ein physikalisches Missgeschick im Jahre 1865 entstanden ist. Ausgedacht hat sich das mit dem Abzählen Papst Johannes Eduart VI. Er hat sehr viele Roboter entwickeln lassen, einer intellegenter als der andere. Die haben ihm 2124 geholfen die Weltherrschaft an sich zu reißen. Tragisch muss ich sagen und ich glaube ich hätte ebenfalls so gehandelt wie Corbin. Außerdem war er damals ja erst acht Jahre alt, der Arme. Und außerdem noch was: Die Kiste kommt immer dorthin wo du stirbst um einem neuen Rebellen einen Wunsch zu gewähren.”
“Ich glaube…” unterbrach ich Damion.
“Ja, du hast recht, wir sind da.” Langsam verschwand die Schwärze und eine Landstraße wurde sichtbar.
Vor uns gingen sehr viele Menschen. Ich stieg aus und begriff in welcher Szene von Jesus Leben wir waren. Es war der schwere Kreuzigungsgang. Ich blickte an mir herunter und stellte zufrieden fest, dass ich ebenfalls wie die anderen Leute hier gekleidet war. Ich schaute mich um. Damion stand an den Bus gelehnt mit nach oben gestrecktem Daumen und sagte: “Wir sind im Jahr 29n. Chr. Der Bus ist für die unsichtbar, also geh, ich warte hier!” Ich drängelte mich durch den Trauerzug, an den Soldaten vorbei und nach vorne wo sich eine dramatische Szene abspielte: Jesus mit Dornenkrone auf dem Kopf ließ stöhnend das Kreuz fallen. Die Soldaten blieben stehen und lachten über Jesus dann wählten sie jemanden als Träger für das Kreuz aus. Es war ein alter Mann der neben mir stand und schon allein beim Stehen Schwierigkeiten hatte. Die Soldaten schlugen so lange auf ihn ein bis er endlich das tonnenschwere Kreuz in seine zitternden Hände nahm und es weiter schleifte. Jesus ging jetzt neben mir und ich berührte gelegentlich seine Hand beim Gehen. Ich war mächtig stolz, aber auch sehr traurig, weil ich wusste, dass er gleich sterben würde. Da Jesus fast genauso klein wie ich war flüsterte ich ihm ins Ohr: “Renn weg, ich lenke sie ab!” Der heilige Christ sah mich nachdenklich an, schüttelte schließlich den Kopf und flüßterte zurück: “Ich sterbe für Gott und für die Christen!” Ich spürte eine warme Hand in meiner und wurde trurig. Nein, so darf Jesus nicht enden, dachte ich mir, ergriff Jesus` Hand, rannte los und zog ihn hinter mir her. Ein Raunen ging durch die Menge und ein alter Mann sagte zu den hinter uns herhetzenden Römern: “Alea iacta est!Hahaha!” Jesus hatte Mühe mit mir mitzukommen, weil er schon müde von der ganzen Kreuzschlepperei war. Aber die Menge half uns, indem sie uns Platz machte den Römern aber den Weg versperrte. “Damion,” rief ich schon von weitem. Doch der schüttelte nur den Kopf und rief mir entgegen: “Judy, lass ihn stehen und bring dich selber in Sicherheit: Er kann doch gar nicht mitkommen, der Bus ist unsichtbar für ihn!” Ich bremste nicht sondern rannte nur noch schneller. Ich wollte Jesus nicht hier lassen. Ein paar Meter vor dem Bus blickte ich Jesus an. Ich schaute ihm in seine vor Angst geweiteten braunen Augen und dann blickte ich hinter mich. Die römischen Soldaten waren inzwischen durch die Menschenmenge gekommen und rannten laut fluchend hinter uns her. Wenn ich ihn jetzt hier lasse, dachte ich, bekommt er eine noch viel härtere Strafe als vorher. Aber ich musste und so blieb ich stehen und umarmte Jesus. Der erwiderte meine Umarmung und flüsterte: “Du bist ein sehr tapferes, liebes Mädchen. Geh, ich schaffe das schon.” Ich ließ ihn los und er ging Richtung Römer. Dicke Tränen kullerten mir über die Wangen, doch Damion zerrte mich Richtung Bus und während er mich hineinzerrte sah ich zu Jesus, den die Römer nun hinfort rissen. Er schaute mir in die Augen und ich ihm, dann zog mich Damion endgültig weg von dem ganzen Geschehen, zuück in die Zukunft. Ich setzte mich auf die Rückbank des Busses, grub mein Gesicht in die weichen Sitzpolster ein und weinte bitterlich. Nach einiger Zeit des Schmerzes kam Damion zu mir und sagte: “Wir sind da. Hier im Bus bleibt die Zeit anders als in der Kiste nicht stehen.” Doch ich reagierte nicht. “Sei doch froh, dass du ihn kennengelernt hast, Judy!” Ich stand auf und ging auf die Straße hinaus. “Wenn du wieder bereit bist eine kleine Reise zu machen, komm hier hin und sage “Rote Fahrt”!Ok?” Ich drehte mich um und nickte. Dann fuhr der Bus weg und ich schaute auf die Uhr. Na toll, dachte ich mir, denn jetzt hatte ich nicht nur die Faschingsfeier meiner besten Freundin verpasst, sondern es war auch noch kurz vor fünf. Psycho-Doc-Time! Als ich die Tür aufschloss stand schon eine junge Frau im Flur und lächelte mich an: “Hallo, Julia!” sagte sie zuckersüß. “Ich heiße Judy! J.U.D.Y.!” Mrs. Moredean machte sich eifrig Notizen und schob mich dann in mein Zimmer. Mich verfrachtete sie auf mein Bett und sie selber setzte sich in meinen Sessel: “Also, Judy. Du sagst mir jetzt bitte nur die Wahrheit. Wann bist du das erste mal mit dieser Kiste geflogen?”
“Gestern.”
“Gut, und das machst du jetzt so jeden Tag?”
“Nein, die Kiste kann man nur einmal verwenden, jetzt muss ich mit einem Bus fliegen.”
“Aha, holt der dich jeden Morgen ab oder wie läuft das so?” Ich kam mir ziemlich komisch vor so einen Blödsinn zu erzählen, doch schließlich war das, nur das, die Warheit. Und die sollte ich ja erzählen. Für einen Außenstehenden musste das ja verrückt klingen, doch ich erzählte tapfer weiter.
“Ich muss zur Haltestelle in der Lindestraße gehen und “Rote Fahrt” sagen. Dann kommt ein roter Doppeldeckerbus, den ein Mann namens Damion fährt und der bringt mich in die Vergangenheit, aber nur in die Vergangenheit, weil die Zukunft zuviel Sprit verbraucht und der ist ja ziemlich teuer im Moment.”
“Äh, gut. Ehm…ja das wars dann wohl mal für heute würde ich sagen. Ich muss mich noch ein bisschen mit deinen Eltern untehalten. Bis…äh…zum nächsten Mal.” Mrs. Moredean verließ hastig mein Zimmer und ich blieb ziemlich hungrig, müde und etwas verwirrt zurück. Doch schon bald schlief ich ein.

2.
Sonntag. Na, toll!Meine Eltern verkündeten mir heute beim Frühstück unter den Scheiße-ich-hab-eine-verrückte-Schwester-Blicken meines Bruders, dass Mrs. Moredean mir “Irren-Ferien” gegeben hatte. Auf deutsch gesagt: Ich war nach Meinung der “lieben” Mrs. Moredean verrückt und schulunfähig. Wenigstens hatte die Sache einen positiven Aspekt: Ich hatte so viel Zeit wie ich nur wollte um in die Vergangenheit zu reisen. Und damit wollte ich auch schnellst möglich beginnen. Also gab ich vor zu Jessica zu fahren und dort den Tag zu verbringen. Nun hatte ich mir viel Zeit verschafft und ging zur Bushaltestelle. Dann rief ich: “Rote Fahrt.” und tatsächlich kam Damion mit seinem Bus. Ich stieg ein. “Na, so schnell wieder erholt, Judy?”
“Mhm.” brummte ich nur zur Antwort. “Was ist los?” fragte Damion mitleidig.
“Meine Eltern halten mich für verrückt!”
“Sag bloß du hast ihnen hiervon erzählt?!Oh Gott, oh Gott, oh Gott!”
“Doch, leider. Jetzt kommt immer so eine Psychiaterin und ich hab Schulverbot, weil ich zu verrückt dafür bin. Mhm…”
“Oh, nein. Ich hatte schon mal so einen Kandidaten aus dem Jahr 1965. Echt hart! Es war ein kleiner Junge, zwölf Jahre jung. Er ist durchgedreht, weil er selber nicht mehr wusste ob er träumte, verrückt war oder ob alles Wirklichkeit war. Er wurde in eine Anstalt gebracht, wo er nach zwei Jahren starb.”
Ich schluckte und atmete tief durch. So etwas sollte nicht mit mir passieren. Hatte ich das nicht auch bei Jesus gesagt?War er nicht schlimmer gestorben als er sollte?Genau war er das überhaupt? “Damion, ist Jesus eigentlich härter bestraft worden?” Damion krazte sich am bärtigen Kinn. “Mhm, genaugenommen nicht. Ursprunglich sollte er kopfüber an das Kreuz gehengt werden und erniedrigt werden. Meint: die Soldaten wollten Jesus beschimpfen, bespucken, mit verschimmeltem Obst bewerfen und außerdem noch verhungern lassen. Jetzt wurde er dank dir mit Nägeln in den Händen und…”
“Hör auf!” unterbrach ich ihn geschockt. “Ok, wohin soll es gehen?” fragte Damion schließlich.
“Wurde nicht erst vor kurzem Diana ermordet?” überlegte ich laut.
“Ja, sie wurde vorgestern erst in London erschossen. Soll ich dich hinbringen?”
“Genau, das mache ich. Ich rette Diana!” rief ich und wunderte mich über meine eigene Entschlossenheit.
Nach kurzer Zeit waren wir da und ich stieg aus. Wie auch beim letzten Mal wartete Damion an den Bus gelehnt auf mich. Ich war sehr vornehm gekleidet und stand vor dem Hause Windsor. Gerade ging Diana hinein und ich hechtete hinter ihr her. Wie erstaunt ich doch war, als ich problemlos an den Wachen vorbeikam. Ich wusste, dass Diana aus Neid und von einem Diener ihres eigenen Ehemannes Charles im großen Tanz-Saal bei einer abendlichen Zeremonie umgebracht worden war. Das ganze Königshaus war gegen sie und zwang Charles dazu Diana zu verlassen oder sie umzubringen. Außerdem war Camilla, eine sehr gute Freundin des Prinzen, eifersüchtig auf Diana und hatte ihr sogar schon gedroht. Selbst die Queen hatte etwas gegen sie. Denn Diana war sehr hübsch und die Queen wollte die schönste und mächtigste Frau im ganzen englischen Königreich bleiben.
Ich folgte Diana bis zu ihrem Zimmer, sah mich dort um ob wir verfolgt oder beobachtet wurden und hielt sie dann am Ärmel fest. Sie erschrak sich furchtbar und fuhr erschrocken herum. “Was machst du hier?Wer bist du?Was willst du?Wie bist du hier herein gekommen?” Diana war völlig aus dem Häuschen, aber ich konnte ihr ja schlecht die Warheit sagen, denn dann würde sie mir sowie so nicht vertrauen. Also sagte ich: “Ich bin Judy. Ich hatte eine schreckliche Vision, Diana. Sie dürfen heute Abend nicht auf den Ball gehen, bitte. Die Königsfamilie will Sie töten!” Diana glozte mich ungläubig an und entgegnete schließlich: “Warum?Ich…ich verstehe das alles nicht…ich habe doch niemandem etwas getan.”
“Sie haben viele Feinde, die ihre Position als Prinzessin beneiden. Kennen sie Joe, den Diener von Charles ihrem Ehemann?” Diana nickte “Er will sie erschießen!”
“Ich werde fliehen!Ich gehe zu meinem Freund Dodi Fayed. Da bin ich sicher. Wir führen schon seit einiger Zeit eine Beziehung. Dann fahren wir ersteinmal nach Paris.”
“Gut. Fahren sie heute noch!”
“Auf Wiedersehen. Danke dir, Judy. Ich muss dir jetzt vertrauen, aber ich hatte ohnehin schon so einen ähnlichen Verdacht. Leb wohl!” Ich ging zum Bus zurück und überließ Diana nun ihrem Schicksal, denn mehr als warnen konnte ich sie ja nicht.
Als ich wieder zuhause war erwarteten mich meine Eltern im Flur. Ich zog mir Jacke und Schuhe aus und spürte dabei förmlich ihre bohrenden Blicke auf meinem Rücken. Dann beachtete ich sie nicht weiter und wollte auf mein Zimmer gehen, doch sie ließen mich nicht vorbei und Dad fragte ziemlich sauer: “Wo warst du?” Hatten sie etwa alles herausbekommen?Waren sie mir gefolgt? Oder hatten sie vielleicht bei Jessica angerufen? “Ich war bei Jessica, aber das hatte ich euch doch…” weiter kam ich nicht, denn da gab mir meine Mutter meine erste Ohrfeige in meinem Leben. Nun füllten sich meine Augen mit Tränen und meine Mutter brüllte mich an: “Lüg nicht!Jessica hat angerufen und wollte sich mit dir verabreden.”
Das war es also gewesen. Jetzt saß ich ziemlich tief im Schlamassel. Meine Eltern wollten nichts mehr hören und schickten mich wiedereimal ohne Abendessen ins Bett. Aber schlimmer konnte es eigentlich eh nicht mehr kommen, oder?
Doch es kam schlimmer.
Am nächsten Morgen beim Frühstück, es war der 30. August 1997, las ich folgende Überschrift in der Zeitung:
DIANA BEI AUTOUNFALL IN PARIS MIT FREUND DODI FAYED UMS LEBEN GEKOMMEN – GANZ ENGLAND TRAUERT-
Ich fühlte mich auf einmal als hätte ich einen Schlag in die Magengrube bekommen. Mir war Speiübel und ich bekam keinen Bissen mehr vom Frühstück hinunter. Diana war dort gestoben wo ich sie zu ihrer Sicherheit hingeschickt hatte. Am liebsten wollte ich meine Eltern fragen ob sie nicht bis gestern, dachten, dass Diana ermordet wurde, doch ich bekam eine viel bessere Idee. Wenn Diana vor drei Tagen erschossen wurde müsste das ja in der Zeitung gestanden haben. Also wollte ich aufstehen um sie zu holen und meinen Eltern beweisen, dass ich Recht hatte. Doch mein Vater hielt mich am Arm fest und wies mich an mich wieder zu setzen. Ich schaute erst meinen Vater an, dann meine Mutter, die hüstelte schließlich und sagte: “Weißt du, Judy, wir haben uns gestern Abend sehr lange unterhalten, dein Vater und ich. Und wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass es wohl besser wäre, wenn du für ein Jahr in eine Klinik an die Nordsee fährst. Die haben dort sehr gute Ärzte und die Luft ist auch gut dort oben. Es könnte dir vielleicht sogar Spaß machen.” Mein Vater unterbrach meine Mutter mit einer sehr trockenen Bemerkung: “Es ist eine psychatrische Klinik!” Dennis, der bis jetzt nur still dagesessen und seine Cornflakes gegessen hatte ließ jetzt den bescheuertsten Kommentar ab: “Du wirst warscheinlich noch nicht mal einen Monat da lebendig bleiben, Judy, denn ich habe nämlich mal davon gehört, dass es da auch Menschenfresser geben soll.” Das war der längste und beschissenste Satz, den mein Bruder jemals abgelassen hatte. Doch meine Eltern sagten gar nichts. Ich kam mir nun vor wie der letzte Idiot und das schwarze Schaf der Familie.
Nun könnte die Geschichte ja eigentlich zuende sein. Ich komme in eine Anstalt und verende dort als Verrückte. Aber wäre das nicht langweilig? Nein, ich muss mir zugestehen, dass ich es verdient habe. Wer würde auch schon so eine Geschichte glauben. Mal ganz davon abgesehen, du glaubst mir doch auch nicht, oder? Buch ist Buch und immer erfunden, oder? Also, ich will die Geschichte weitererzählen und natürlich habe ich nur wenig Lust in eine Anstalt zu gehen. Du denkst, ok, dann haut die Verrückte jetzt von zuhause ab und flieht auf der Suche nach Gerechtigkeit in die weite Welt. FALSCH!
Ich fliehe in die Vergangenheit.

3.
Das genügte. Meine Eltern behandelten mich wie den letzten A…. Und wenn Dennis irgendetwas sagte, was es auch war, sie unternahmen nichts. “Na gut. Wenn ihr mir nicht glaubt. Ich gehe gerne.” gab ich patzig zurück. “Judy, es ist doch nur zu deinem Besten. Wir wissen zwar nicht wie du auf so etwas kommst, aber…” versuchte mich meine Mutter zu beruhigen.
“Seht ihr. So etwas kann man nicht erfinden,…” wollte ich wieder alles erklären, aber Dennis unterbrach mich: “…es sei denn man ist VERRÜCKT!” Diesmal griff mein Vater endlich, wenn auch nicht hart genug, ein: “Dennis, schluss jetzt!Deiner Schwester geht es schlecht und sie braucht Hilfe. Darüber macht man keine Scherze!” Dennis verzog die Miene und aß schweigend weiter. “Wann soll es denn los gehen?” fragte ich möglichst normal klingend. “Wir bringen dich morgen früh zum Bahnhof. Wir haben dir ein Ticket für zehn Uhr gekauft.” Ich nickte und wollte aufstehen, als meine Mutter mich am Arm packte und sanft zu sich zog. “Du bist tapfer, Schatz!Ich hab dich lieb. Immer!Das weißt du doch, oder?” Ich schaute aus dem Fenster und versuchte sie nicht zu beachten. Dann nahm sie mich in den Arm. “Ich glaube, ich gehe jetzt besser mal meinen Koffer packen, Mum!” bedrückt stieß ich sie weg und ging mit gesenktem Kopf in mein Zimmer. Was tun? Mir blieb eigentlich nichts anderes übrig als in diese Anstalt zu fahren. Aber war es das was wirklich nötig war? Ich war ziemlich unschlüssig. Als ich aus dem Fenster sah merkte ich, dass es bis zu unserem Vorgarten nur zwei Meter hinab ging. Das Stück konnte ich auch springen, dachte ich mir. Doch war das so gut? Was würden meine Eltern machen? Was würden meine Freunde machen? Ich schaltete meinen Computer an und begann eine Nachricht an Jessika zu schreiben. Ich war gerade beim Endsatz angekommen als meine Mutter von unten zu mir hinauf rief:” Judy? Kommst du? Wir müssen gleich noch zu Mrs Moredean. Sie begleitet dich nämlich morgen.” Ich hörte auf zu tippen. Ich traute meinen Ohren nicht. Das konnte doch nicht wahr sein. War ich denn nun verrückt oder ein gemein gefählicher Straftäter. Schnell beendte ich den Satz. Meine Mutter kam die Treppe hoch. Da die letzte Stufe immer knarrte wenn man auf sie trat, wusste ich, dass sie gleich hier sein würde. Ich klickte auf “senden” und öffnete dann blitzschnell mein Fenster. Es klopfte an der Zimmertür, doch in dem Augenblick sprang ich schon nach draußen. Auf der Straße angelangt hörte ich meine Mutter schreien und rannte los. Den Codenamen zum Holen des Busses rief ich schon von weitem mit Tränen in den Augen. An der Bushaltestelle angekommen sah ich meine Mutter aus dem Haus auf mich zu rennen und hörte sie hysterisch brüllen, dass ich da bleiben sollte. Doch kurz bevor sie überhaupt in Reichweite für mich war kam der Bus und ich stieg ein. “Weg!” sagte ich mit tonloser Stimme zu Damion. Er startete sofort den Wagen und fuhr los. Ich setzte mich in die erste Reihe und blickte meiner hektisch winkenden Mutter traurig nach. “Kann sie uns eigentlich sehen?” Damion drehte sich zu mir um und starrte mich einen kurzen Augenblick Gedanken versunken an. “Ja!” sagte er schließlich. Wieder blickte ich aus dem Fenster. Meine Mutter musste jetzt Schreckliches denken. Warscheinlich rief sie in diesem Augenblick die Polizei um zu erzählen, dass ich angeblich bei einem Fremden in den Bus gestiegen bin.
Nach einiger Zeit fragte mich Damion etwas schwieriges:” Wohin?” Was sollte ich denn tun? Anderen Menschen helfen? Leben retten? Sollte ich mich in der Vergangenheit verstecken? Oder vielleicht einfach mein eigenes Leben in Ordnung bringen und es weiterleben? Viele Ideen schwirrten in meinem Kopf umher. ” Schade, dass es nicht mehr in die Zukunft geht!” sagte ich schließlich zu Damion. “Mmmmhhh…Ja! Schon möglich. Wieso? Was hättest du dann getan?”
“Ich glaube ich hätte mal geguckt was ich jetzt machen würde! Ich habe keine Ahnung wohin ich soll.”
“Was hälst du von einer neuen Familie?”
“Wie bitte? Aber ich habe doch eine. Naja, …eigentlich hast du irgendwie auch Recht!”
“Wie wäre es mit dem St. Georges Caritas Kinderheim in Königsberg?” Ich überlegte und mir stiegen wieder die Tränen in die Augen. Sollte ich tatsächlich meine echte Familie verlassen, weil sie mir eine sehr unglaubwürdige Geschichte nicht glauben? Das ergab alles keinen Sinn! Aber ich wollte natürlich auch nicht in eine Anstalt gehen. ” Na gut.”
“Ok. Ich würde sagen 1970. In Ordnung?” 1970…Das war ja vor meiner Geburt! Das war irgendwie unvorstellbar für mich. Aber bevor wir in unser neues Haus umgezogen sind war eine Zeitreise sowiso unvorstellbar für mich. Und jetzt das alles! Mir war zum Heulen zu Mute, doch ich wollte mein Leben einfach neu in die Hand nehmen und nicht wieder weinen.
“Na gut! Ab nach Königsberg!” sagte ich mit krampfhaftem Lächeln. Vergeblich versuchte Damion mich aufzuheitern: “Es tut mir leid für dich, aber ich kann dir da auch nicht viel weiter helfen.” Ich dachte laut nach: “Doch! Es gibt doch eine Möglichkeit! Ich könnte einfach nur ein paar Wochen zurückreisen und alles in Ordnung bringen.”
“Keine gute Idee. Denn du bist ja immer noch selber in der Vergangenheit. Das würde bedeuten, dass du dich zuerst selber beseitigen musst um freie Bahn zu haben. Oder du bringst dich selber vor ein paar Wochen um und lebst so in der Vergangenheit weiter?! Das ist vielleicht kompliziert, oder?”
“Ja, und wie! Ich glaube das mache ich am Besten. Ich reise in die Vergangenheit, bringe mich um und kann wieder ganz normal leben…”
“Bis auf eine Kleinigkeit! Du kannst nie mehr in die Vergangenheit oder zurück zu deinem jetzigen ich reisen! Wenn man sich irgendwo umbringt suche ich mir jemanden anderes! Also überleg dir das!”
“Oh. Mmh, wie war das eigentlich nochmal mit der Zukunft? Wenn ich aus der Vergangenheit wieder zurückreise, dann reise ich doch auch irgendwie in die Zukunft, oder?” Damion lächelte väterlich “Nein, dann reist du in die Gegenwart!”
“Schade eigentlich!” Der Bus hielt unsanft und vor uns wurde eine ärmliche Landschaft sichtbar. Ich schaute mich um. Alles so arm, düster und grauenvoll. Voller Hoffnung sah ich zu Damion. Doch der nickte in Richtung Heim.
“Damion, kann ich nicht mein eigenes Leben in Ordung bringen? Kann ich nicht einfach…?”
“Willst du die Folgen wissen? Ändere nie deine Vergangenheit!”
“Aber was wäre, wenn ich mich irgendwann selber treffe und dann mit MIR befreundet wäre?”
“DAS geht nicht! Wenn du dich selbst siehst, dann kannst du dein altes Leben in die Tonne schmeißen! Du wirst unglücklich und verzweifelt! Und du pfuschst in der Gegenwart herum! Schlimmer geht es nicht. Es sei denn du bringst einfach alle um die du kennst…aber…nein! Vergiss es.”
Traurig sah ich ihn an. Wäre doch bloß alles so wie früher! Hätte ich diese verdammte Kiste doch bloß nie entdeckt. Ob sie absichtlich dort gelassen wurde? Wollte mein Vorgänger sie möglicherweise loswerden? Hatte er auch Probleme?
Gedankenversunken ging ich auf das Tor zu. Man sah keine Menschenseele. “Du weißt ja wo du mich findest? Viel Spa…äh…Glück!” Damion verschwand. Ich öffnete das Tor und ging in den Hof. Es erschien mir wie eine Ewigkeit bis ich endlich an der riesigen Holztür des Heims angelangt war. Zögerlich klopfte ich. Keine Schritte zu hören. Nichts rührte sich. Ich wartete. Nach einiger Zeit klopfte ich erneut. Es dauerte eine Weile bis mir geöffnet wurde. Eine alte Frau mit vielen Pickeln und Warzen im Gesicht öffnete mir. “Was willst du?” giftete sie mich an. Ich wollte antworten doch meine Kehle schien wie ausgedörrt. Mir schien als hätte ich verlernt zu sprechen. Denn was ich sah verschlug mir die Sprache. Ein kleines Mädchen kam hinter der Frau zum Vorschein. Sie trug eine zerfezte Puppe im Arm und hatte Lumpen an. Ihre dunklen Haare, die anscheinend irgendwann mal Blond waren, waren zu einem Knoten gebunden. Mit ihren großen blauen Augen starrte sie mich mitleiderregend an.
“Was willst du?”
“I-i-ich…wollte nicht stören, aber könnte ich vielleicht hier wohnen?” Als ich diesen Satz ausgesprochen hatte kam ich mir selbst ziemlich bescheuert vor.
“Hä?” Die Frau guckte mich natürlich ziemlich verwundert an.
“Hugo! Ist noch ein Plätzchen im Keller frei?”, rief sie dann ins Haus. Ich wartete und besah mir das Haus. Es könnte auch als Schule dienen. So sah es jedenfalls auf den ertsen Blick aus. “Komm rein!”, murmelte die Frau und riss mich aus meinen Gedanken. “Ich bin Agatha! Du?”
“Ich? Jaja…ich heiße Judy! Judy Branson.” Agatha murmelte etwas unverständliches und führte mich durch einen langen mit Müll vollgestopften Flur. Das kleine Mädchen lief neben mir her und beäugte mich wie eine Sehenswürdigkeit. Ich lächelte es an. Das Mädchen lachte leise und sagte dann mit einer kindlichen Stimme: “Du siehst aber merkwürdig aus! Was hast du denn für komische Kleidung an?” Ich schaute an mir hinunter und überlegte wie ich mich da herausreden könnte, doch da unterbrach Agatha plötzlich meine Gedanken. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir schon im Keller waren und sah mich um. Eigentlich hätte ich den Keller auch für eine Müllhalde halten können. So vollgestopft war er.
“Was? Ist das etwa nicht gut genug für dich. Willst du vielleicht…” Agatha schien meinen Blick völlig Falsch zu deuten und stemmte verärgert die Hände in die Hüften. Doch bevor sie sich noch mehr aufregete unterbrach ich sie beschwichtigend: “Nein! Ganz im Gegenteil. Es ist perfekt!”
“Soso. Perfekt also? Naja, du bist mir von Anfang an etwas komisch gewesen, aber was soll’s. Da vorne kannst du schlafen.” Sie deutete auf ein kleines, verstaubte Bett. Ich nickte kaum merklich und ging auf das Bett zu, da spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. “Stopp!” rief Agatha. Ich drehte mich um und blickte in ihre freundliche Augen. “Was?” Ich kam nicht ganz weit mit meinem Satz. “Ich dachte du bist vielleicht etwas hungrig nach deiner Reise. Wir sind auch grade mit dem Abendessen fertig geworden!” Ich murmelte verdutzt ein “Danke” und ging ihr hinterher nach oben. Währenddessen klammerte sich das Mädchen an meinen Arm und grinste mich an. “Warum bist du so schmutzig?” fragte ich es, doch zur Antwort bekam ich nur ein weiteres Grinsen. Agatha wandte sich mir zu: “Sie hat Angst vorm Wasser! Obwohl wir hier sowieso nicht so viel und erst recht kein warmes Wasser haben.”


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