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20, Stress pur!

16.01.11 by Charly Speaks

1. Kapitel

“Bis Morgen wiederholen Sie bitte den Stoff dieser Stunde. Es ist nur zu Ihrem Besten. Ich werde Ihr Wissen schon sehr bald überprüfen müssen. Ebenfalls nur zu Ihrem Besten! Vielen Dank.”, verkündete Erica Sloward.
Noch mehr Stoff zum Lernen. Ich wusste jetzt schon, dass mir spätestens nach einer halben Stunde lernen der Kopf platzen würde. Hier zwei, drei Stunden und da mal eine halbe Stunde lernen und dort noch mal alles wiederholen.
Alles in allem war ich höchst warscheinlich die nächsten drei Tage damit beschäftigt.
Nach zehn Minuten Fahrt von der University of Florida am Lake Alice entlang zu der kleinen Studentenbude im Hafen, fiel ich unglaublich erschöpft in mein Bett.
“Na, Süße. Auch schon da?” Meine beste Freundin grinste mich höhnisch an.
“Oh, du gottverdammtes Miststück!” Ich zog mir die Decke über den Kopf und rollte mich hin und her im Bett.
“Soll ich Madame vielleicht einen Kaffee bringen?”
“Wieso muss das alles so hart sein? Und wieso hast du es nicht so schwer?”, fragte ich und kroch mühselig wieder aus dem Bett.
“Tja, meine Liebe! Wer es mal zu was bringen will, muss …”
“Halt’s Maul!” rief ich und jagte sie durch die 45 m² Wohnung bis sie sich kreischend auf das Sofa warf. Ich begann zu lachen. Sie lachte auch. Wie gut es doch war eine beste Freundin zu haben, dachte ich mir, während Tyler aufstand und uns einen Kaffee machte.
Tyler Browanson war schon seit dem Kindergarten meine beste Freundin. Als sie neu in unsere ‘coole’ Kindergartengruppe kam war ich die erste, die auf das moppelige, kleine, schwarze Mädchen zu ging. Seitdem waren wir die besten Freundinnen. Das war schon immer so und würde auch immer so bleiben. Aber nur damit es keine Missverständnisse gibt: Tyler ist jetzt echt, sie ist wirklich schlank! Sehr schlank. Fast schon magersü … Man durfte in ihrer Nähe noch nicht einmal an das Wort denken …
Irgendwann einmal, sagten wir uns immer, würden wir als alte Omas eine Weltreise starten, um dann schließlich in Europa einen Strickkurs zu belegen und letzendlich Arm in Arm zu sterben!
Das war so unsere humorvolle Vorstellung vom Leben. Auch, wenn der Teil des Studierens nicht gerade der Schönste war, wie ich schnell gemerkt hatte.
Ich studierte Erziehungswissenschaft und Sport. Ty dagegen Islamwissenschaft, keine Ahnung, warum sie sich gerade dafür interessierte, und ebenfalls Sport. Ein gemeinsames Ziel hatten wir schon. Freude!
Jetzt musste ich allerdings ersteinmal meine ‘Hausaufgaben’ machen. Eigentlich gab es im Studium keine Hausaufgaben in dem Sinne. Zuerst war ich höchst erfreut über diese Nachricht gewesen und hatte meine viele Freizeit in vollen Zügen genossen. Doch ich hatte sehr schnell gemerkt, dass man ohne Lernen nicht sehr weit kam. Also lauschte ich seit dem immer den Empfehlungen der Professoren und wiederholte fleißig.
Die theoretischen Übungen mit Erica Sloward im Bereich “Wissenschaftstheoretische und methodologische Grundlagen der Erziehungswissenschaft” hatten mir eine Menge an Stoff zum wiederholen beschert. Zuerst einmal ein Text “Die Erziehungsphilosophie und methodologische Ansätze, die in der Erziehungswissenschaft eine zentrale Rolle spielen”. LANGWEILIG! Ich begann zu lesen:
Die Erziehungsphilosophie setzt sich aus verschiedenen Kriterien zusammen, die … URRGGHHHSSS!!! Was war das denn?
Ich hatte einen Schluck von Tylers Kaffee genommen und ihn fast auf meinen Fragebogen (eine weitere Hausaufgabe) gespuckt! Stattdessen traf ich aber doch meinen neuen Pullover aus Kashmire.
Es war eine Mischung aus vergammelten Eiern, Honig, irgendetwas Scharfem und einem dezenten Beigeschmack von Kaffee. Ich musste würgen.
“Komm, Julie! Man kann es auch wirklich übertreiben!”, murmelte Tyler, sah von ihrer Zeitung auf (Sie las Zeitung, während ich schuftete!) und guckte mich über die Ränder ihrer neuen Lesebrille hinweg an.
“WAS IST DAS?”, kreischte ich, stand auf und begann meinen Pullover von Ralph Lauren vorichtig zu bürsten.
“Das ist nur eine … andere Kaffeesorte als sonst, Süße.” Nach dieser ausführlichen Erklärung versteckte sich Ty wieder hinter ihrer Zeitung. Ich grummelte ein bisschen rum, setzte mich wieder und begann dann den Fragebogen auszufüllen. Die Fragen kamen mir alle sehr einfach vor, weshalb ich mir große Sorgen machte, dass ich sie falsch beantworten würde.
Schließlich musste ich noch einen zehn-seitigen Informationstext über Pädagogik lesen. Allein über das Wort an sich gab es drei Seiten!
Pädagogik konnte man sowohl von dem griechischen Wort “aideia”, was so viel wie “Erziehung” oder “Bildung” bedeutete, als auch von dem ebenfalls griechischen Wort “pais”, ableiten, welches nach diesem Text für das Wort “Kind” stand. Außerdem stand da noch etwas von “agein” (Griechisch, was sonst!), was allem Anschein nach “führen” heißen musste.
Das alles war so verwirrend beschrieben, dass ich zusammengefasst schätzungsweise nur eine halbe Seite von dem Text wiedergeben könnte. Ja, ich war zwar blond, aber keine Blondine! Und erst recht nicht blöd! Sonst hätte ich das Abitur niemals geschafft!
Nach sage-und-schreibe fünf ganzen Stunden, in denen Tyler joggen war und einmal die ganze Wohnung geputzt hatte, war ich endlich fertig. Nicht nur mit den Aufgaben!
“Ty? Ich hab es geschafft!”
“Du bist eine Wucht!”, nuschelte sie mit vorgetäuschter Begeisterung.
“Ty!”
“Achso. Vor zwei Stunden hat übrigens jemand für dich angerufen.”
“Ich will es gar nicht erst wissen.”, sagte ich und packte meine Sachen zusammen.
“Süße, er vermisst dich so. Es war das siebzehnte Mal, dass er heute für dich angerufen hat! Und garantiert nicht das letzte Mal.” Tyler stand auf, kam um den Tisch und massierte mir den Rücken.
“Ach, Ty! DU hast es so gut. So ganz OHNE Freund!”
Es war jetzt fast auf den Tag genau 4 Jahre her, dass ich mit Jonas, dem süßen Sunnyboy aus Pensacola zusammen gekommen war. An meinem 16. Geburtstag hatte er mich geküsst. Ich erinnerte mich noch genau an diesen Moment!
Nachdem ich mich am späten Nachmittag von all meinen Verwandten verabschiedet hatte, klingelte es an der Tür. Ich dachte, dass Großtante Liza vielleicht etwas vergessen hatte, aber nein. Es war Jonas. Der Jonas, den ich eine Woche zuvor in einer Eisdiele am Strand von Pensacola kennengelernt hatte. Der süße, blonde Typ mit den blauen Augen und dem unvergeleichlich tollen Six-Pack.
Ich bat ihn herein und war hin und weg vor Freude. Meine Eltern kannten ihn schon. Es war nicht das erste Mal, dass er zu Besuch war.
Als er mir sein Geschenk gegeben hatte, ein Herz aus blauem Stein, das im Dunkeln leuchtete, mit der Inschrift “Ich liebe dich” wollte ich ihn verwirrt, aber sehr happy ansehen. Doch er zog mich schon zu sich auf mein Bett und küsste mich liebevoll und wunderbar. Ich werde diesen Moment niemals vergessen. Das war mein allerschönster Geburtstag. Bla bla bla.
Und jetzt, drei Tage vor meinem zwanzigsten Geburtstag, war Jonas ein langweiliger und hässlicher Spasti! Und ich liebte ihn so sehr wie Tylers neue Kaffeesorte.
Ich wusste zwar nicht warum, aber in diesen vier Jahren, hatten wir uns deutlich voneinander abgegrenzt. Ich fand es gut, er nicht so. Damals hatte ich ihn wirklich über alles geliebt! Vorallem, weil er mir die Sehnsucht nach Benni, meinem damaligen Ex-Freund genommen hatte. Dafür war ich ihm sehr dankbar. Auch jetzt noch. Benni war nämlich ein richtiges Aas gewesen. Er hatte mich mit einer häßlichen Schlange namens Melly betrogen. Das würde ich ihm noch nicht einmal heute verzeihen!
Aber wie auch immer. Nicht nur Benni war für mich nun nur irgendein Junge auf dieser Welt. Jonas wurde es ebenfalls. Warscheinlich verstehen mich die meisten, wie auch Tyler, nicht in dieser Beziehung.
Alle fragen mich immer: “Warum? Ihr wart doch so glücklich und schon vier Jahre zusammen!”. Die Wahrheit war, und sie war nicht sonderlich interessant, ich lebte und studierte nun ca. 5 1/2 Stunden von Pensacola entfernt. Er nicht! Er lebte in Pensacola. Er war ein kleines Muttersöhnchen. Lebte noch bei seinen Eltern. Ok, ok, er arbeitete wenigstens und musste sich nicht von dem Geld seiner besten Freundin ernähren (räusper!), aber dadurch, dass wir uns einmal im Monat sahen, lebten wir uns eindeutig auseinander.
Ich meine, hier in Gainessville waren auch nicht grade nur häßliche Typen! Ich war eigentlich nicht der Typ, der Schluss machte. Also sollte ich warten bis er es tat? Aber anstatt zu merken wie furchtabr ich ihn fand und sich daraufhin beleidigt zurückzuziehen, hing er nun noch mehr an mir. Es tat mir eigentlich schon leid ihn so zu verachten. Er konnte schließlich nichts dafür, dass sich mein Geschmack von Jahr zu Jahr änderte. Er konnte ja nichts dafür, dass ich reifer und erfahrener wurde und … jetzt mach aber mal einen Punkt, Julie! Du studierst sogar!
Du bist nicht dumm und es war einfach nur ein dummer … nein … ein blöder … ein trauriger Fehler sich in diesen Schlappschwanz zu verlieben.
Tyler hatte sich damals in Jonas’ besten Freund Luke verknallt. Selbst der sah heute besser aus als Jonas. Aber was soll’s. Nach einem Jahr glücklicher Liebe, hatte Tyler gemerkt, dass Luke Drogen nahm. Er hatte sie zwar nie da mit reingezogen, aber sie war total gegen Drogen. Also machte sie kurz nachdem sie eine kleine Hanfplantage im Keller seiner Oma gefunden hatte, mit ihm Schluss. Sie war sogar so gnädig und verriet ihn nicht an die Polizei. Tja, so war sie eben, die brave Tyler, meine beste Freundin. Luke war seitdem immer etwas komisch und abweisend zu uns gewesen, man konnte es ihm nicht verübeln, denn Tyler hatte zwar nichts der Polizei verraten, dafür aber Lukes Oma. Doch trotzdem hatte sie noch Kontakt zu ihm. Ließ sich auch nicht vermeiden, weil der gute Kerl mit uns zusammen in Gainesville Sportwissenschaft studierte.
“… und deshalb solltest du mit ihm Schluss machen!”, hörte ich Tyler grade sagen. Sie sah mich stolz an.
“Ty, ich hab dir nicht ganz zugehö …”
“MEIN GOTT! DA MEINT MAN ES MAL GUT MIT DIR UND SCHON BIST DU WIEDER VOLL UND GANZ IN GEDANKEN VERSUNKEN!”, brüllte sie.
“Bei was auch immer, ich möchte es gar nicht wissen.” fügte sie, die Augen rollend, hinzu. Dann wandte sie sich einer Lektüre über die Islamwissenschaft zu.
Ich beließ es dabei und schlafwandelte geradezu ins Bett. Da hörte ich wie Tyler mir etwas nachrief:
“Er hat es verdient, dass du endlich mit ihm Schluss machst. Mehr nicht!”
Ich wollte mich grade umdrehen, um zu widersprechen, da merkte ich, dass sie Recht hatte. Also ging ich weiter in Richtung Bett. Dort angekommen, rief Tyler mir erneut etwas nach, was ich ihr nie verzeihen würde. Obwohl es warscheinlich stimmte … “Ach, und noch was. Deine Beine sehen von hinten echt fett aus, Süße. Spaß.”
Danke, Tyler. Ich liebe dich auch, dachte ich und warf mich mehr als übermüdet ins Bett.

2. Kapitel

Wuaahhh. Ich streckte mich und blinzelte verschlafen ins Sonnenlicht. Geil! Der fünfte Samstag seit ich studierte. Unfassbar, aber wahr. Gerade wollte ich aufstehen und duschen gehen, als ich in der Tür mit Tyler zusammenstieß, welche ruckartig und erschrocken zurückfuhr, sich aber schnell wieder fasste und mich zurück zum Bett schob. Gehorsam setzte ich mich.
“Guten Morgen, Tyler. Schön dich zu sehen!”
Doch Tyler ignorierte mich und rannte aus dem Zimmer (Soweit man unsere winzige Bettkammer überhaupt Zimmer nennen konnte). Ich hatte es noch nicht geschafft zu reagieren, da war sie auch schon wieder zurück.
“Happy Birthday, Julie!”, trällerte sie liebevoll und balancierte einen winzigen Marmorkuchen in Form eines Herzens zum Bett.
Gerade wollte ich mich bedanken, als ein lauter Singsang von Geburtstagsliedern aus der Küche (auch der “Rest des Hauses” genannt) ertönte. Eine Sekunde später standen vier meiner engsten Bekannten und Tyler vor meinem Bett. Wow, dachte ich. Wie passten die hier alle hinein?
Mageretha Edmont, kurz Maggie, die mit mir zusammen den Erziehungswissenschaftskurs bei Erica Sloward und den vielen anderen Professoren belegte und die ich sehr ins Herz geschlossen hatte, weil sie eine treue Seele war. Sie war eine etwas moppelige Frau, ohne richtigen Style (Man könnte ihn auch als second-hand bezeichnen) in meinem und Tylers Alter. Bei dem Versuch einer Babypuppe die Windeln zu wechseln, wobei mir das kleine Biest aus den Händen glitt und mit dem Kopf auf den Boden fiel, hatte sie mir bereitwillig geholfen und seitdem mochte ich sie, obwohl sie nicht ganz in mein Beuteschema für neue Freundinnen passte. Aber auch etwas ründlicheren Menschen musste man doch eine Chance geben.
Ashley Zamantha Rosalie Greenbales, von mir nur Ash genannt, ein äußerst interessantes Mädchen, war auch gekommen. Ihren Style mochte ich. Das war gelogen. Ich liebte ihn. Ich vergötterte ihn!
Sie war sehr klein und zierlich. Ich schätzte sie auf 1,65 Meter. Aber sie war der am coolsten und gleichzeitig am geschmackvollsten gekleidete Mensch, den ich je getroffen hatte. Ich hätte mir sogar fast letztens das selbe T-shirt von Fiorelli gekauft, obwohl sie es besaß. Aber das wäre ja wie geklaut. Also nein!
Dann waren da noch Haden Stuart und Luke Antonietti. Warum Luke da war, war mir ein Rätsel. Warscheinlich hatte Ty ihn noch nicht einmal eingeladen. Oder aus Mitleid. Eins von beidem traf immer zu.
Haden war einer meiner Lieblingsjungs in Sportwissenschaften. Er war richtig lieb und immer für einen da. Außerdem bezog er die Wohnung nebenan. Toller Zufall. Manchmal nahmen wir ihn auch mit nach hause. Er sah sogar noch nicht einmal schlecht aus. Er hatte einen dunkelbraunen mächtigen Lockenschopf, einen super Body und strahlende grüne Augen. Er war ein Jahr älter als ich und spielte leidenschaftlich gerne Basketball, weshalb er auch schon mit siebzehn ein Stipendium für die University of Florida bekommen hatte und so schon viel länger als Ty und ich hier studierte und wohnte. Eigentlich war er perfekt. Das dumme war nur (jeder denkt sich warscheinlich an dieser Stelle ‘Oh, nein. Er ist schon glücklich vergeben.’) … er war schwul. Und vergeben! Ich freute mich zwar für ihn, dass er vergeben war, aber warum mussten die supersüßen Typen immer schon vergeben sein? Oder schwul? Oder beides? Das war ja so unfair.
Wie auch immer. Auf jeden Fall standen alle vier zusammen mit Tyler jetzt brav und mit Geschenken beladen vor meinem Bett und strahlten mich an.
“Dankeschön. Leute. Das wäre doch nicht nötig gewesen.” Warum laberte ich eigentlich immer so eine Scheiße? Natürlich war das nötig gewesen, denn wenn sie meinen Geburtstag einfach übergangen hätten, wäre ich zum Teufel mutiert und sehr beleidigt gewesen. Muss aber keiner wissen. Also: Wär ja nicht nötig gewesen!
“Hier.”, flötete Ash und drückte mir ein Päckchen in die Hand. Die anderen folgten ihrem Beispiel und luden ihre Geschenke auf dem Bett ab. Tyler schnitt den Kuchen an, ich packte aus und die anderen guckten begierigt zu.
“Oh, die neuen Banana-Snake Pumps von Christian Louboutin. In Silber und von unten rot. Mit zehn Zentimenter Absatz! Mein Gott, Ash! Die kosten doch mindestens 995 Dollar!” Ich strahlte.
“Und … oh, nein wie toll!” Ich konnte mich kaum beherrschen als ich das Geschenk von Haden auspackte. “Guccissima”, die neueste Gucci Handtasche in lila. Der Hammer!” Ich sprang vom Bett auf und hüpfte mit der Tasche in der Hand durch die Wohnung. “Die habe ich mir schon immer gewünscht!” Das nächste Geschenk war das von Maggie.
“Fantastisch, Maggie ein … äh … Babyphone?” Ich wusste nicht wirklich was ich damit anfangen sollte. Ich bekam doch gar kein Kind. Oder?
“Das ist für die Übung im nächsten Semester! Also falls du dich dafür eingetragen hast. Wir bekommen doch alle diese kleinen Puppen mit Sensoren, die man füttern muss und so. Da hab ich mir gedacht …”
“Du bist die Beste, Maggie!” Ich umarmte sie. Obwohl ich genau wusste, dass ich mich nicht für diesen Kurs eingetragen hatte, kam mir das Geschenk ungeheuer nützlich vor.
Dann machte ich mich an Lukes Geschenk.
“‘Rose The One’ von Dolce & Gabbana!” Ich hatte mich auf der letzten Shopping-Tour eindeutig in dieses Parfüm verliebt!
Luke grinste.
“Aber … hä? Woher …”
“Ähm … Jules, ich glaube ich muss dir da was beichten.”, flüsterte Ty kaum hörbar und guckte zerknirscht zu Boden.
“Du weißt, dass Haden sich das Geschenk dank seiner nicht grade armen Eltern leisten konnte. Ash hat einen Job als Model. Aber Luke und ich haben zusammen gelegt. Er hätte …” Ty verstummte.
“Ich hätte mir das sonst nicht leisten können.”, ergänzte Luke.
“Hey, Leute! Ich bin begeistert! Was für eine außerordentliche Teamarbeit!” Ich nahm sie alle gleichzeitig in die Arme und begann wieder vor Freude zu hüpfen.
“Ist gut, Süße.”, murmelte Ty und befreite sich aus meinem mehr oder weniger Würgegriff. “Du solltest dich jetzt anziehen.”
Also scheuchte ich meine Gäste in den Rest der Wohnung und zog mich um.

Als ich fertig war, trommelte ich die anderen zusammen. Jetzt war es Zeit für die große Tages-Shoppingtour in Jacksonville.
“Freunde, es ist Zeit!” Luke stöhnte.
“Nicht shoppen oder?”, fragte er.
“Wieso denn das nicht?”, kreischten Ty, Ash und ich fast wie aus einem Mund. Mädels eben. Wie schon gesagt, Maggie war da etwas anders. Second-Hand eben. Aber vielleicht fanden wir ja heute etwas, das ihren Style ein wenig aufpeppte.
“Naja. Ich bin ein Junge. Ich steh nicht so auf shoppen.”, druckste Luke rum.
“Ich schon!” Haden verbarg seine Halb-Weiblichkeit wiedereinmal nicht. Es schien so als sei er stolz darauf das zu sein, was er war. Aber mich störte es nicht. Im Gegenteil! Ich mochte ihn umso mehr als so manch andere Typen.
Auf der Fahrt (Luke war doch mitgekommen und saß nun hinten zwischen Maggie und Haden) ging es recht lustig zu. Während wir mit Hadens großem VW-Bus 1 1/2 Stunden den Highway an Waldo, Hampton, Starke, Lawtey und Baldwin entlangfuhren, hatten wir die Musik auf volle Lautstärke gedreht. Ash, Ty und ich hatten bei jedem Lied mitgesungen. Hadens Bus hatte wirklich einen tollen Bass.
Haden selbst hatte nur grinsend mitgesummt, obwohl ich mir sicher war, dass er die Texte der Lieder mindestens genauso gut wie ich beherrschte. Luke war eher der mürrische Typ. Und Maggie … ich mochte sie wirklich sehr, aber ich wollte sie gar nicht erst singen hören. Nicht, dass mein Gesangstalent sooo gut war, dass ich damit auftreten konnte aber …
Stattdessen wippte Maggies Kopf immer im Takt der Musik mit, während sie die vorbeiziehende Landschaft beobachtete.

“Die sind ja geil!”, sagte ich zu dem zwölften Paar Schuhe, bei dem ich mir sicher war, dass ich sie mir kaufen wollte.
Ich stand vor einem ganz außerordentlich tollen Paar Pumps von Jimmy Choo mit Leonardenmuster. Sie nannten sich “Hester”. Ein orgineller Name für Schuhe, dachte ich mir. Die musste ich einfach haben!
Die Schuhe standen draußen in einer Art durchsichtiger Litfaßsäule. Also stürmte ich zu der erstbesten Verkäuferin.
“Entschuldigen Sie, Mrs. …” Sie trug kein Nameschildchen. Mist!
“Dunham! Was wollen Sie?” Wie unhöflich! Naja.
“Ich hätte gerne diese Schuhe da vorne in der Säule zum anproboieren. Könnten Sie …”
“Nein. Ich werde nicht nach draußen gehen. Es besteht die Gefahr, dass ich mich erkälte und das kann ich mir in meinem Job nicht erlauben.” Ich stutzte. Nicht schlecht. Die war kurz davor die gehässigste Person in meinem Leben zu toppen. Nämlich eine ehemlige Schulfeindin von mir und Oberzicke der Schule. Eine gewisse Sara. Aber whatever.
Ich merkte, dass sich die Verkäuferin wirklich den falschen Job ausgesucht hatte und fragte eine etwas jüngere und um einiges freundlichere Kollegin dieser kompetenzlosen Schranze.
“Die sind doch altmodisch!”, grummelte Luke, als ich ihm stolz die Schuhe zeigte, und stapfte in die Ecke mit den Sneakers. Ich stöhnte und zeigte sie Tyler, Ash, Maggie und Haden, die sich alle auf einen Zweisitzer gequetscht hatten.
“Toll!”, sagte Ty.
“Wundervoll!”, sagte Ash.
“Was für ein Prachtexemplar von einem Schuh!”, sagte Haden verträumt und ich merkte, dass er wirklich Geschmack hatte.
“Auf so etwas kannst du tatsächlich laufen?”, fragte Maggie und machte Augen, während sie ihre große Hornbrille richtete.
“Also nicht, dass ich deine Fähigkeiten irgendwie hinterfragen möchte, Julie. Aber …” Maggie merkte, dass nicht nur ich sie ungläubig anstarrte. “Ok, ok. Sie sehen wirklich fantastisch aus.”, gab sie schließlich nach.
“Jippieh!” Ich führte einen kleinen Freudentanz auf. Und zwar in den Hesters, die sich schon so gut wie in meinem Besitz befanden.
“Kann ich ihnen helfen?”, fragte die äußerst stark nach irgendeinem Billigparfüm miefende Verkäuferin von vorhin und sah mich missbilligend über ihre Brille hinweg an.
“Nein danke.”, trällerte ich und wäre bei der Vollbremsung meines Tanzes fast in eine weitere Verkäuferin gestolpert.
“So?”
“Ja, ich bin gut bedient.”, sagte ich nun etwas ernster, weil mir die Frau ein wenig auf die Nerven ging.
“Aber, wenn ich mir einen Kommentar zu diesen Schuhen erlauben dürfte.”
Ich starrte sie an. Du guckst wie ein Auto, würde jetzt mein lieber Vater sagen.
“Diese Art von Schuh steht ihnen nicht sonderlich, meine Liebe. Ich würde bei ihnen lieber etwas einfacheres wählen. Einen Sportschuh von Puma vielleicht.” Ich konnte kaum glauben was sich diese … diese minderwertige Verkäuferin ohne Geschmack Ende der 50er Jahre gerade erlaubt hatte. Doch bevor ich meine Ungläubigkeit herauslassen konnte, standen Haden, Ash und Ty schon an meiner Seite.
“Habt ihr das … habt ihr es gehört?”, fragte ich die drei.
“Jep.”, sagte Haden und grinste.
“Hören Sie mal, Mrs …”, begann Ash.
“Dunham!”
“Hören Sie mal, Mrs Dunham! Ich bin mir sicher, dass ihr Chef nicht gerne von ihrem Verhalten den Kunden gegenüber erfahren würde. Vorallem, da wir nicht nur irgendwelche Kunden sind! Wir können zahlen. Wenn wir wollen jedenfalls. Aber ich glaube, das Schuhgeschäft gegenüber bietet die selben Schuhe wie Sie an. Nur mit freundlichen Personal inklusive. Komm, Julie!”
“Warten Sie.”, Mrs Dunham kreischte fast und kam hinter uns hergerannt. “Bitte, bleiben Sie.”
Ich wäre eh nicht hier rausgekommen, da ich diese wunderbaren Schuhe noch anhatte. Also blieben wir.

Nach acht Schuhgeschäften, einer Pizzaria, fünfundzwanzig Damenmodegeschäften, zwei Cafès und einem Herrenmodegeschäft (Haden hatte sich einen neuen Anzug leisten wollen. Nun war er echt happy), saßen wir fix und fertig in einem sehr feinen (für mich zu fein …) Restaurant und aßen auf Kosten von Tyler. Mir war es recht, denn der Monat war vorbei und ich musste wieder die Miete bezahlen! Nicht gut. Dadurch war ich, was diesen Monat betraf, schon ganz schön pleite. Die sechs Paar Schuhe, die fünf Oberteile, die drei neuen Jeans und die zwei tollen Handtaschen von Gucci (ja, schon wieder Gucci!) und Chanell bezahlten sich ja auch alle nicht von alleine! Aber erstens hatte ich für den Tag heute schon mächtig gespart und zweitens hatte ich die Hälfte der gekauften Sachen Tyler und Ash zu verdanken. Tyler hatte mir ihr und mein ganzes Leben lang immer wieder Sachen (teure Sachen!) von Designer-Marken wie Prada gekauft. Und Ash hatte einfach schon viel Geld verdient, ebenfalls reiche Eltern (… gehabt. Sie waren bei einem Autounfall gestorben und Ash hatte alles geerbt. Zuvor waren ihre Eltern sehr vermögend gewesen. Sie hatten früher eine ganze Mall in New York besessen, die Ash nun auch geerbt hatte.) und einen guten Geschmack, von dem sie mir etwas abgeben wollte. Ich hatte nichts dagegen, also ließ ich mich beschenken. Von Luke und Maggie konnte und wollte ich nichts erwarten. Sie waren beide schon sehr zufrieden ihre Miete bezahlen zu können. Und Haden … Haden hatte wie schon gesagt auch nicht grade arme Eltern. Vor Beginn seines Studiums haben sie ihm genug davon abgegeben. Dann starteten sie eine Weltreise. Er hielt lediglich Briefkontakt mit ihnen, was vielleicht besser so war, da seine Eltern sich gegen Schwule entschieden hatten. Sie konnten ihren Sohn ja nicht vollkommen abschieben, so hielten sie Briefkontakt mit ihm. Aber um Geld bitten konnte er sie nicht mehr. Also ging er zusätzlich in einer Imbissbude aushelfen und verdiente sich so noch etwas dazu.
Ich hatte mir eine einfache Pizza bestellen wollen, doch was dabei herauskam machte mich echt stutzig. Eine Art Teigfladen mit Kaviar, Hausküken, Hummer, Trüffeln und sogar essbarem Gold.
“Was ist das denn?”, fragte ich sogar fast entsetzt und schaute zum Kellner auf.
“Die Pizza, Madame.”, sagte dieser, grinste leicht süffisant und verschwand wieder.
“Hey, Jules. Das schmeckt echt gut hier.”, versuchte Ty mich aufzumuntern.
“Aber eine normale Currywurst oder so etwas hätte mir doch schon voll gereicht!”
“Maul nicht rum! Iss!”
“Na klar, Mum!” Ich grinste und Tyler probierte von meiner “Pizza”.
“Mhhhh.”, machte sie und versuchte eine Art Lächeln aufzusetzen. “Echt lecker. Probier doch mal.” Ich sah ihr sofort an wie furchtbar sie es fand, machte mich jedoch mit gespieltem Appetit an mein Mahl.
“Also ich finde es echt lecker hier.”, meinte Haden und stopfte sich sein … was auch immer es war … in den Mund.
“Was esse ich hier eigentlich nochmal?”, fragte er schließlich.
“Ich glaube, das war die Schneckensuppe, Haden.” Ty versuchte erneut zu grinsen, schaffte es aber bei Hadens Anblick doch nicht mehr.
Ich probierte einen Happen und musste mich fast an Ort und Stelle übergeben.
Ich schaffte es jedoch mit viel Mühe noch bis zur Damentoilette. Warscheinlich war ich einfach nicht der Typ für neue Gerichte. Erst Tylers Kaffee letztens und jetzt das hier. Als ich in den Spiegel guckte, sah ich eine Frau kopfschüttelnd und mit tadelndem Blick die Toilette verlassen. Oder besser gesagt hinausflüchten.
Dann besah ich mir voller Ekel das Zeug, das ich da eben ausgespuckt hatte und kotzte wieder. Ich war aber auch wirklich empfindlich. Sollte ich mir einen erneuten Blick in den Spiegel erlauben?
Zuerst nahm ich, wenn auch leicht verschwommen, meine Wenigkeit wahr und dann die Person, die hinter mir stand.

3. Kapitel

“Haden? Was machst du auf der Damentoilette?” Ich drehte mich um. Haden kam mit schnellen Schritten zu mir und schaute mir tief in die Augen.
“Wie geht’s dir, Julie?”, fragte er und irgendwie mochte ich ihn dafür noch mehr. Er war wirklich ein Prachtskerl und so lieb und …
“Ganz gut. Danke der Nachfrage. Aber was machst du hier?” … er war schwul!
“Ich wollte nur gucken wie es dir geht.” Aha.
“Aha.”, murmelte ich. “Du wolltest nur gucken wie es mir geht?”
“Sagte ich doch.” Er grinste und schob mich vorsichtig aus der Damentoilette wieder zu unserem Tisch.
“Danke.”, sagte ich, noch immer etwas benommen von den Kotzattacken.
“Äh, was habt ihr beiden Hübschen denn gerade zusammen auf der Damentoilette gemacht?”, fragte Ty plötzlich unglaublich interessiert.
“Nichts!”, murmelte ich.
“Ich war nur auf Toilette und habe mich anschließend nach Julies Befinden erkundet.”
“Wie romantisch.”, trällerte Ash.
“Geht.” Diese Pizza und der plötzliche ‘Überfall’ von Haden auf dem Klo hatten mich ein wenig geschockt.
“Sag mal, Julie. Bist du eigentlich immer noch mit diesem … diesem Jonas zusammen?”, fragte Maggie ganz beiläufig.
Ich stöhnte.
“Das heißt ja.”, wollte meine beste Freundin damit dieses Thema beenden, doch Luke zerstörte diesen Versuch.
“Wie? Immer noch?”
“Jahaaa.” Ich matschte lustlos in meiner ‘Pizza’ herum.
“Aber …”, meinte Luke. Tyler schaute erst zu mir, dann zu Luke und dann unterbrach sie ihn, um dieses Thema nun endgültig zu beenden. Gottseidank!
“Wie auch immer. Leute, ich finde, wir haben genug Gourmetzeugs gehabt. Ab nach Hause.”
Wie wunderbar. Zuhause warteten ein warmes Bett und eine ruhige Nacht mit viel Schlaf auf mich.

Ich schloss die Tür zu unserer kleinen Wohnung auf und ließ Haden und Tyler hinein, um noch einen schönen Absacker mit meinen besten Freunden zu trinken. Ash, Luke und Maggie hatten wir auf dem Weg schon abgesetzt. Ash bei der Villa ihrer Eltern, die sowieso nur ihr gehörte, weil ihre Eltern tot waren. Und Luke und Maggie beim Studentenwohnheim an der Uni.
Als ich das Licht anknipste und in unser Wohn-Ess-Zimmer mit Küche kam, staunte ich nicht schlecht.
“Happy Birthday!”, riefen meine Eltern, um ungefähr 23 Uhr in Gainesville, 5 1/2 Stunden von ihrem Wohnort entfernt, zu ihrer Tochter, die grade sehr müde und erschöpft war und doch einen Absacker mit ihren Freunden hätte trinken sollen.
“Mum, Dad!” Ich bemühte mich zu lächeln. Da hüpfte auch schon mein kleiner Bruder Josh hinter den Stühlen hervor. Hatte ich gerade klein gesag? Er war fast schon größer als ich.
“Alles Gute, Julie!”, rief er und umarmte mich.
“Josh?!” Ich drückte ihn so fest ich konnte.
Es war nämlich schon fast zwei Monate her, dass ich ihn das letzte Mal gesehen hatte.
Er sah mir, meiner Meinung nach, ganz und gar nicht ähnlich. Ich hatte dunkelblonde lange leicht wellige Haare. Er dagegen braunes kurzes glattes Haar. Ich hatte blaue Augen und er … grüne! Keinerlei Ähnlichkeiten!
“Ihr werdet euch immer ähnlicher, meine Süßen!”, sagte meine Mutter in diesem Moment und ich hätte sie dafür erwürgen können.
“Äh, ich geh dann mal.”, murmelte Haden hinter mir.
“Was? Nein, bleiben Sie ruhig hier, junger Mann.”, sagte meine Mutter freundlich. “Wir wollten auch nur unser Geschenk vorbeibringen und …” Geschenk? Welches Geschenk? Ich bekam noch mehr? Wow!
” … damit wir uns dann morgen alle einen schönen Tag zusammen machen können.”, vollendete Mum ihren Satz und lächelte.
Morgen? Zusammen? Wir? Den Tag verbringen? Hatte ich mich da etwa verhört?
“WAS?”
“Schätzchen, wir werden morgen mit deinen Eltern den Tag verbringen.” Tyler lächelte gekünstelt.
“Aber …”
“Achso, mein Schatz.”, sagte mein Vater in diesem Augenblick. “Habt ihr euch eigentlich heute einen schönen Tag gemacht? Wir hatten Tyler ein bisschen Geld überwiesen, damit ihr euch heute den Tag mit einer Shoppingtour versüßen könnt. Weil wir erst abends kommen konnten. Und? Habt ihr?” Ich merkte schon, dass Tyler mir morgen noch einiges zu erklären hatte.
“Ja, klar, haben wir.”
“Dann ist ja gut. Wir hatten ihr gesagt, dass sie es niemandem sagen soll. Eigentlich sollte das ja dann unser Geschenk an dich sein. Deine Mutter und ich dachten, dass wir heute gar nicht kommen könnten. Aber …” Mein Vater guckte zur Decke und ließ dann seinen Blick durch die Wohnung schweifen.
“Schön habt ihr es hier.”, sagte er dann.
“Ja. Mum? Dad? Josh? Würdet ihr uns bitte nun entschuldigen. Wir …”
“Natürlich, Schatz. Wir wollten doch auch gar nicht lange nerven. Das kommt morgen.” Meine Mutter dachte wohl, sie hätte damit einen Witz gerissen, doch für mich war das die Wirklichkeit. Sie nervten. Sehr! Und bald würde ich MEINE NERVEN verlieren!
“Und dann haben wir ja noch das Geschenk für dich.” Mein Vater lief zum Sofa (Was machte er da?), griff dahinter und kam mit einem … Rennrad zurück! Ein Rennrad! Ein richtiges Rennrad! Ein richtiges …
“Gefällt es dir?”, fragte meine Mutter und tätschelte den Sattel, des knallroten, wunderschönen Fahrrades.
“Sehr! Danke euch! Das ist ja toll!” Neben meinem Hobby Schuhe zu kaufen und sie zu tragen (Wohlgemerkt … DESIGNERSCHUHE!), war eines meiner anderen Hobbies … besser gesagt mein einziges anderes Hobby … Rennrad fahren! Ich hatte zwar noch nie eines besessen, aber in der Uni gab es welche, die für die Studenten dort zum Verleih gestellt wurden.
“Dann sind wir jetzt auch wieder weg. Wir wohnen in einem Hotel in der Innenstadt. Falls du uns brauchst, die Telefonnummer liegt auf dem Küchentisch. Ansonsten sehen wir uns morgen um elf Uhr. Ok?” Das strahlende Lächeln meines Vaters war unübersehbar. Wie sollte ich ihnen dieses Vorhaben aus dem Kopf schlagen? Sie hatten sich jetzt schon so gefreut und warscheinlich auch schon einen richtig tollen Tag vorbereitet. Aber ich musste doch lernen und hatte den Tag eigentlich schon mit Ty und Haden für das Fitnesstudio verplant! So was aber auch! Was für eine Zwickmühle!
“Na klar, Dad. Bis morgen. Schlaft gut.”
Nachdem ich die Tür hinter meinen Eltern zugeknallt hatte, so dass die Nachbarn warscheinlich alle wachgeworden waren … ach neee … der einzige Nachbar war ja Haden, der war ja aber immer noch da. Auf jeden Fall, nachdem ich das getan hatte, stöhnte ich laut auf und fing an mich an Hadens Schulter auszuweinen, während Tyler uns dreien einen Drink machte.
“Warum?”, jaulte ich laut und ließ mich von Haden zum Sofa geleiten. Ich setzte mich und er setzte sich neben mich, den Arm um mich gelegt. Ich kuschelte mich in seinen schönen warmen Pullover.
“Süße, es ist doch kein Weltuntergang.”, meinte Ty.
“Was? Meine Eltern kommen an einem Abend an dem ich nichts lieber als (vollgekotzt) in mein Bett möchte und es ist ok? Und morgen einen Tag Familie! Ich fass es nicht!”
“Ok ok. Es ist echt ein Weltuntergang. Tut mir leid.”, murmelte sie und reichte mir einen frisch gemixten Pina Colada, meinen Lieblingsdrink.
“Das. Tut. Gut.” Nachdem ich mein Glas mit einem Zug geleert hatte, stand ich auf und wankte wie ein riesiger (vollgekotzter) Tanklaster in Richtung Bett.
Als ich endlich lag, bekam ich mit, wie Ty Haden verabschiedete und sich dann auch bettfertig machte. Ich dachte nach.
Ich hatte ein niegelnagelneues Rennrad bekommen und meckerte nur. Aber war es denn auch zu viel verlangt, wenn man wenigstens meinen Geburtstag so gestaltete, dass ich weder kotzen, noch abends schlecht gelaunt ins Bett fallen musste? Ich meine, ist das zu viel verlangt? Oder war ich vielleicht einfach nur egoistisch? Warscheinlich. Aber ich übertrieb auch ein bisschen. Denn so schlimm war mein Tag nun auch nicht verlaufen. Immerhin … ich hatte supergeile Schuhe und gaaaaaanz tolle neue Designerklamotten und alles in allem war ich, wenn ich mal richtig darüber nachdachte, doch ganz zufrieden mit mir und der Welt.
Schön.

Ich spürte die Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. Ich streckte mich und gähnte. Langsam wachte ich auf. Ich freute mich auf den Tag.
Dann dachte ich darüber nach, was heute eigentlich für ein Tag war. Ich riss die Augen auf und schrie.
Guten Morgen, Julie.

In der Küche warteten Ty und Haden auf mich. Ja, wiedereinmal frühstückte er bei uns. Das war schon fast Sitte.
“Du hast geschrien, Süße.”, stellte Ty ganz nebenbei fest, während sie ihre Zeitung las.
“Gut bemerkt.”, murmelte ich verdrießlich und machte mir eine Schüssel Cornflakes.
“Wieso, wenn man fragen darf.”
Haden, ich liebe dich ja wirklich über alles. Küsschen. Aber da hättest du auch von selbst drauf kommen können.
“Eltern.”
“Achso. Stimmt ja. Heute ist einer dieser wunderbaren Julie-freien Tage. Weil sie dank ihrer Eltern keine Zeit für uns hat.”
“Falsch, Haden! Hiermit zwinge ich mindestens einen von euch diesen Tag mit mir zu durchleben. Und es ist mir egal, wenn ich dabei mit euren Leben und Nerven spiele. Das ist es mir wert, ihr nutzlosen Wesen. Wenn nicht, wird das Konsequenzen für euch haben! Verlasst euch dadrauf!” Ich stocherte missmutig in meinen Cornflakes herum. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich wie Haden und Tyler mit Blicken kommunizierten.
“Ich sehe alles.”
“Ok, ok. Aber, es ist nunmal so, dass keiner von uns will.” Tyler blickte endgültig von ihrer blöden Zeitung auf und legte sie weg.
“Ja. Wir mögen deine Familie ja wirklich sehr, Schatz, aber …” Haden nannte mich neuerdings Schatz. Ich mochte das.
“Hä?”
“… aber ich hab heute schon was Anderes vor.”
“Och, Haden. Du kannst mich doch jetzt nicht hier einfach sitzen lassen. Bitte. Ich. Brauche. Dich. Wirklich. Dringend.”
“Mmhf.” Haden schien seine Chancen abzuwiegen dieser Hölle auf Erden zu entfliehen. Könnte er wegrennen, sich aus der Wohnung schleichen und in die benachbarte verziehen? Sollte er versuchen unter den Tisch zu kriechen und so zu tun, als sei er weg? Ich sah ihm an, dass er Ähnliches dachte.
“Ty, sag doch auch mal was!”
“Ich halt mich daraus. Eure Angelegenheit.” Sie zeigte mit der Zeitung auf uns beide. “Meine Angelegenheit.” Sie hielt die Zeitung hoch.
Wunderbar, diese Zeichensprache. Eine fantastische Art ohne Worte zu kommunizieren.
“Na gut. Ich komme mit.” Er gab sich einen Ruck, stand auf und trat hinter mich. Dann beugte er sich zur mir hinunter und sein Atem kitzelte meinen Nacken.
“Ich mach das nur für dich.”, flüsterte er mir ins Ohr.
“Wer flüstert, der lügt.”, murmelte Ty, die wieder hinter ihrer Zeitung verschwunden war.
“Jetzt hast du die ganze Stimmung verdorben, Tyler. Ich wollte ihr grade einen Heiratsantrag ins Ohr flüstern!” Wir lachten.
Haden, du bist mit Abstand der Beste. Das Beste. Am besten. Und so weiter.
Tyler, du bist die mit Abstand mieseste beste Freundin, was das Thema BEISTAND angeht.

Ich rappelte mich auf, ging in den Flur, nahm meine Jacke, ging in die Küche, nahm Hadens Hand, trat Tyler leicht vors Schienbein und zog dann voller Euphorie ab.
Wow. Familie kann doch richtig schön sein.
Wir, meine Eltern, Josh, Haden, der leicht unglücklich aussah und ich, saßen in einem Cafè und tranken … Kaffee. Ironie des Schicksals.
Nee, mal im Ernst. Es gibt nichts Besseres als gute Freunde, die wirklich jeden Scheiß mit einem durchstehen. Oder?

“Na, Zuckerpopöchen, was hast du denn noch so von deinen Freunden bekommen?” Meine Mum war wirklich … ich will nicht sagen peinlich, aber … doch. Sie war sehr peinlich. Ich merkte wie Haden neben mir sein Sixpack unter Kontrolle hielt um nicht zu lachen.
“Einiges, Mum. Schöne Designer-Sachen.”
“Dass du dir immer so einen teuren Ramsch kaufen musst, Julie. Das macht dich auch nicht hübscher. Oder erfahrener. Oder beliebter. Oder netter. Oder …”
“MUM!”
“Ach, wo sind nur die guten alten Zeiten, wenn man sie mal braucht? Früher habe ich immer versucht dir vernünftige Sachen zu kaufen. Das waren noch andere Zeiten.”
“Ich finde Julies Style echt extravagant. Schön. Sexy. Modern.” Süß, Haden.
Ich spürte wie er den Arm um meine Hüfte legte.
“Seid ihr zusammen, Julie? Ich dachte du wärst noch mit diesem, diesem …”
“Jonas!”
“Ja, genau. Bist du denn gar nicht mehr mit ihm liiert?”
Er ist häßlich, er ist ein Spast, er ist dumm, er war meine Jugendliebe. Die Betonung liegt auf JUGENDLIEBE. Ich bin inzwischen 20!
“Äh, doch.” Leider. Gott, noch ein Punkt auf meiner quengeligen To-Do-List!
“Das ist doch mal eine gute Nachricht. Er ist auch wirklich ein lieber Kerl. Wir sehen ihn manchmal, wenn er im ‘Jabons’ kellnert.” Im ‘Jabons’. Wow. Na und. Auch nur ein fünf-Sterne-Hotel mit fünf-Sterne-Restaurant und fünf-Sterne-Köchen, die fünf-Sterne-Essen kochen.
“Ja und, Mum?”
“Nichts ja und …”
“Mum! Könnten wir bitte über etwas Anderes reden. Josh, wie geht’s dir so?”
“Toll. Das hast du mich erst vor zehn Minuten gefragt.”
“Dad? Wie läuft’s so … äh … in der Firma?”
Mann, Julie. Der war lahm.
“Bestens, mein Schatz. Bestens. Willst du uns deinen neuen Kumpel nicht mal richtig vorstellen?”
KUMPEL?
Autsch.
“Hey. Ich bin Haden. Ich bin 21 und studiere Sportwissenschaften. Ich beziehe seit vier Jahren die Wohnung neben der ihrer Tochter und Tyler. Ihre Tochter, Julie, sieht mich als ihren besten Freund. Ich bin schwul. Zur Zeit bin ich nicht liiert. Nicht mehr. Also bin ich wieder solo.”
“Echt? Ich dachte du wärst noch mit diesem süßen kleinen Spanier und …” Dann bemerkte ich was Haden da grade zu meinen Eltern gesagt hatte.
“Mum, Dad. Es ist nicht so wie ihr denkt. Wirklich. Er ist nicht so … ähm … ouh my god, ich ben schwuuuuul. Nein. Er ist wirklich mein bester Freund.”
“So sieht er auch aus.” Das war der einzige Kommentar. Er kam aus dem vorlauten Mundwerk meines kleinen Bruders.
“Josh, halt die Klappe. Er hat den schwarzen Gürtel in Judo, ja? Er macht dich fertig.”
“Ich find ihn echt cool.”, sagte Josh, dann stand er auf. “Muss mal auf Klo.”, murmelte er und ging. Na toll.
“Mum? Dad?” Sie guckten leicht bedrückt in verschiedene Richtungen. Aus dem Fenster. Auf eine häßliche Zierpflanze. Eine künstliche häßliche Zierpflanze. Na, danke. So uninteressant war Haden aber nun wirklich nicht.
“Komm, Haden wir gehen.” Ich zögerte. Ich sah Haden an, der meine Eltern beobachtete. Sie saßen da, als würde es uns gar nicht geben. Aber das Kommische war, dass Haden belustigt aus sah.
Dann sagte er einen Satz den ich niemals vergessen werde. Einen, dessen Sinn er mir niemals erklären wollte.
“Es tut mir leid.”

4. Kapitel

“Wieso? Wieso? Wieso? Haden, ich versteh dich nicht. Meine Eltern verhalten sich wie die wiederwärtigsten Arschlöcher der Welt und du entschuldigst dich dafür, dass du so empfindest wie du nunmal tust? Ich verstehe dich nicht. Erkläre es mir.”
Wir waren inzwischen bei Haden zu Hause. Tyler war im Fitnessstudio und ich hatte meinen Schlüssel vergessen. Super.
“Julie, ich kann es dir nicht sagen. Wirklich.”
“Hallooo? Ich dachte wir wären Freunde! Und jetzt sowas.” Ich schüttelte den Kopf, doch Haden nahm mich nur in den Arm und wiegte mich ein wenig hin und her, damit ich mich beruhigte.
“Haden.”
“Mmh?”
“Haden! Was ist los? Was tust du da? Warum hast du das getan? Was ist nur mit dir los? Du tust grade so, als wären wir zusammen!”
Er ließ mich schnell los und wandte sich ab. Dann guckte er aus dem Fenster und ließ mich mit dem Haufen an Fragen alleine in der Dunkelheit zurück.
“Och man. Haden. Was soll ich denn machen? Du verhälst dich voll merkwürdig.” Ich tickte gegen meinen Willen total aus. Der Tag war hinüber und die Situation außer Kontrolle geraten.
Haden war doch mein bester Freund. Er war schwul und so unglaublich lieb. Und er meinte es doch nur gut und ich war so unfair und beschuldigte ihn etwas unglaublich Verbotenes getan zu haben, was er mindestens schon zwanzig mal getan hatte. Nämlich mich in den Arm genommen. Ich war sowas von dumm!
“Tu ich gar nicht.”, sagte er mit gespieltem Spaß und drehte sich mit einem aufgesetztem Lächeln zu mir um. Wenigstens nahm er mir meinen kleinen Ausraster nicht allzu übel. Deshalb schätzte ich ihn auch so als meinen besten Freund!
“Wohl”, maulte ich, denn das Gefühl, dass in Haden etwas Unberechenbares ruhte, das ihn zu jemandem machte, der er nicht war, besiegte mein Glücksgefühl in einem unfairen Kampf.
“Na, gut. Deinen Eltern gegenüber vielleicht. Aber dir gegenüber doch nicht. Ich bin wie immer, Jules.”
“Wenn du meinst.” murmelte ich und wandte mich ab.
“Ich mach uns einen Kaffee.”
Er ging in die benachbarte Küche und ich setzte mich auf ein Sofa.
“Haden?”
“Was?”
Er streckte den Kopf aus der Küche und schmunzelte mich an.
“Ich finde es besser wenn du der alte Haden bleibst.”
Er lachte und wandte sich wieder dem Kaffee machen zu. Süßer Bursche.

“Ich bin so froh, dass ich dich hab. Ganz ehrlich. Ohne dich säße ich jetzt nicht nur vor meiner verschlossenen Wohnung. Ohne dich … wäre mein Leben anders. Sehr anders. Ich hab dich lieb. Auch, wenn das jetzt voll schnulzig rüber kommt.”
Wir saßen immer noch bei Haden auf dem Sofa und plauderten.
“Tut es nicht, Julie.” Er legte seinen Arm um mich und ich kuschelte mich an ihn. Das tat gut. Und … mmmhhh … er hatte ein neues Eau de Toilette. Ich glaube es war ‘Le Male’ von ‘Jean Paul Gaultier’. Ein wagemutiger Duft, der Konventionen bricht und mit Traditionen spielt. So wurde er jedenfalls in der Werbung beschrieben.
Aber wirklich. Ein Duft für einen richtigen Mann. Moment. Das passte irgendwie alles nicht so ganz zu Haden. Haden war … naja … er war doch schwul. Ok, ich hatte ihn nie mit einem Typen knutschen oder Händchen halten sehen. Aber, warum sollte er so etwas behaupten und uns immer vorspielen er sei schwul. Ich verstand die Welt nicht mehr so ganz. Es war nur ein Parfum, Julie!
“Haden?”
“Noch einen Kaffee?”
“Nein danke. Ich wollte dich was fragen. Aber du darfst nicht böse sein.”
“Was?”
“Versprich mir nicht böse zu werden. Ok?”
“Ich verspreche dir hiermit hoch und heilig, dass ich nicht böse werde.”
“Na gut. Du hast es so gewollt.”
“Jetzt sag schon.”
Ich zögerte.
“Julie!”
“Bist du wirklich schwul?”
Er begann zu kichern und dann brach er in schallendes Gelächter aus. Das hast du ja super hinbekommen, Julie!
“Komm! So lustig ist das jetzt nicht, Haden.”
Er lachte weiter.
“Ich finde ja nur, dass du dich ein wenig komisch verhälst. Du bist so … unweiblich geworden. Naja, nicht ganz unweiblich, aber irgendwie männlicher. Kann das sein?”
Er beachtete mich nicht und lachte einfach weiter. Mann. Soooo witzig war das doch nun wirklich nicht. Oder?
“Boar, Haden. Jetzt reiss dich doch mal zusammen. Du kannst ja auch einfach nicken, wenn …”
In diesem Augenblick sackte er in sich zusammen und sank auf den Boden. Dort krümmte er sich vor lachen.
“Sag mal. War da vielleicht irgendwas in dem Kaffee drin?”
Er nickte.
“Ok. Sag’s mir! Sag mir was in dem Kaffee war!”
“Zucker!” Er lachte noch lauter.
Ich stand kurz vor einem Zusammenbruch. Oh mein Gott!
“Julie? Haden?” Tyler kam in die Wohnung. Hatten wir die Türe aufgelassen?
“Was ist denn mit dem los?”
“Ich weiß es nicht. Und um ganz ehrlich zu sein, ist mir das auch egal.”
Ich stürmte aus der Wohnung, Tyler hinter mir her.
Selbst in unserer Wohnung hörte ich ihn noch lachen. Wieso? Wieso benahm er sich so merkwürdig? Diese Frage ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Er war schwul und … benahm er sich wirklich anders oder war ICH diejenige, die sich verändert hatte? Lag alle Schuld bei mir? War er wie immer und ich … ? Nein! Ich konnte doch nicht … Ich meine … ich hatte doch nicht … Ich kann mich nicht in ihn verliebt haben!
“Julie? Rate mal wer vorhin angerufen hat, als du mit Haden und deiner Family unterwegs warst?”
“Och nee. Bitte nicht Jonas! Bitte! Bitte!”
Und als würde Gott mir einen Streich spielen wollen, klingelte das Telefon. Ich könnte wetten, dass es Gott war. Also nicht am Telefon. Aber …
“Julie? Es ist J.” Tyler grinste höhnisch während sie die Hand vor die Sprechmuschel hielt.
“Nein!”, zischte ich, machte das internationale Zeichen für ‘Du bist tot’ und fuhr mit der Hand an meiner Kehle vorbei. Tyler kicherte.
“Sorry, Jonas. Aber sie sitzt grade auf dem Klo.”
Danke, Tyler. Wirklich sehr originell!
Sie stellte im Gegenzug wenigstens das Telefon auf Lautsprecher um, sodass ich mithören konnte. Wie gnädig, Ty!
“Echt? Mhh …” Jonas Stimme klang ein wenig traurig.
“Ja, so ist das, Jonas. Tut mir leid. Möchtest du warten oder soll ich ihr was ausrichten?”
Stille am anderen Ende der Leitung.
“Also das Warten könnte lange dauern. Sie hat sich eine Micky Maus-Zeitschrift mitgenommen.”
Ich boxte sie in die Seite. Doch Ty kichterte weiter.
“Ok. Ich ruf dann später nochmal an. Achso, kannst du ihr ausrichten, dass ich sie sehr liebe.”
“Ja klar, Jonas. Mach ich doch gerne.”
“Also irgendwie kommt mir das so vor, als würde sie sich davor drücken, mit mir zu sprechen. Ich vermisse sie so.”
“Ich werde es ihr ausrichten. Tschüss dann.”
“Tschüss.”
Er legte auf.
“Mann, Jules! Der klingt ja voll fertig. Was tust du da nur.” Sie zögerte. “Aber ich halte mich da raus.”
Oh, nein. Was hatte ich da nur angestellt. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Ich kann das nicht. Aber ich muss. Er ahnt ja eh schon, dass da was nicht stimmt, also ist es jetzt auch egal. Und ich sehe ihn nie nie wieder. Wir wohnen so weit von einander entfernt, dass er niemals auf die Idee kommen könnte vorbeizukommen. Nie, nie, niemals!
“Gut so.”, murmelte ich um davon abzulenken, wie sehr auch mich das alles mitnahm.
“Mh.” Tyler drehte sich um und ging ins Badezimmer.
“Ty?”
“Ja?”
“Dankeschön.”
“Klar. Aber treib es nicht zu weit. Er ist auch nur ein Mensch. Ein Mensch wie du und ich. Einer mit Gefühlen. Ok? Vergiss das nicht.”
Ich nickte.

“Heute machen wir den Erste Hilfe Kurs, oder?”
“Fit?”
War ich fit genug um Menschen das Leben zu retten? Konnte man dafür fit sein?
“Immer.” Ich schob mir den Rest meines Roggen-Kartoffel-Brotes mit Ziegenkäse in den Mund, stand auf und ging in die benachbarte Wohnung. Schon wieder einmal hatte Haden die Tür nicht zugemacht.
“Haden? Haden?”
Ich ging suchend in der Wohnung umher.
“Scheiße.” Haden stand splitterfasernackt vor mir. Er schien gerade geduscht zu haben und genauso verwirrt wie ich.
“Ebenfalls scheiße! Wie bist du hier rein gekommen?”
Ich wiederholte mich nur:
“Scheiße.” Dann drehte ich mich um und antwortete:
“Die Tür stand offen. Wie immer.”
“Oh.”, sagte er und irgendwie klang es betroffen. Ich lauschte. Er schien sich nicht zu bewegen.
“Ich habe auch hinten Augen, Haden. Also zieh dir bitte was an.”
“Äh … klar.”
Süß. Sogar, wenn er peinlich berührt ist, kann er immer noch knuffig sein. So knuffig und süß wie … wie der alte Haden. Der … äh … schwule Haden.
“Fertig, Jules. Können wir?”
“Na klar.”, erwiderte ich ohne mich umzudrehen und stapfte in Richtung Haustür.
“Heute ist der Erste Hilfe Kurs. Stimmt’s?” Freudig zupfte er mir am Ärmel, wie ein kleines Kind.
“Mh. Ja, kann schon sein.” Langsam ging mir der neue Haden aber doch auf die Nerven. Oder war ich neu?
“Du bist so komisch seit …. seit deinem Geburtstag und dem kleinen Zwischenfall im Restaurant. Das tut mir immer noch sehr leid, wenn ich dich da überrumpelt hab auf dem Klo. Wirklich, Jules, aber ich hab einfach …”
“Nein, mir tut es leid, dass ich einfach … dass ich dich nicht verstehen wollte.” Ich blieb mitten im Flur stehen und drehte mich um. Er stand direkt hinter mir. Jetzt direkt und unmittelbar vor mir. So nah. Zum greifen nah.
Er war doch … schwul. Schon wieder einmal. Also immer noch. Warum? Er sieht so gut aus und …
“Muss es nicht. Wirklich.”
“Ok, Haden. Lass uns den ganzen Mist einfach vergessen. Lass uns … neu anfangen. Ja? Also ich bin Julie. Deine Nachbarin. Du bist …”
“Haden. Sehr erfreut. Ich bin schwul und wohne in der Wohnung neben an. Ach, studieren wir nicht zusammen Sportwissenschaft? Was für ein Zufall.”
Er schaffte es doch immer wieder mich mit seinen inzwischen bärtigen Witzen zum Lachen zu bringen. Süß. Vielleicht war es das was ich so an ihm mochte und ich konnte einen besten Freund einfach nicht von einer neuen großen Liebe unterscheiden, weil mir beides gut tat. Und beides bei mir Bauchkribbeln verursachte. Mh. Das war jetzt aber komisch, denn ein bester Freund verursacht kein Bauchkribbeln, Julie!
Mist.

“So, dann in die stabile Seitenlage, damit das Opfer nicht an seiner Kotze erstickt.” Wie nett sich der Erste-Hilfe-Beauftragte, oder auch Uni-Sanitäter, doch ausdrückte. Wie gepflegt und professionell. So eindrucksvoll …
Ich war das sogenannte Opfer. Eben die, die versorgt werden musste und Haden versorgte mich.
Es war ein Zusatzkurs in unserer Uni. Er nannte sich ‘Erstversorgung am Unfallort’. So etwas wie eine AG. Eine AG, die nur einen Tag dauerte.
Haden, war mein Retter. Gottseidank war es nicht Maggie. Ich mochte sie sehr, aber während Haden mich sanft auf die Seite drehte, sah ich, wie sie dabei war ihrem Unfallopfer den Arm in einer unschönen Position auf den Rücken zu drehen. Sie hielt es für den richtigen ersten Schritt bei der stabilen Seitenlage. Natürlich machte sie es nicht mit Absicht. Nur, wie schonmal erwähnt, sie war eben sehr sehr kräftig. Ich wandte meinen Blick vom schmerzverzerrten Gesicht Maggies Patienten und konzentrierte mich auf die irgendwie wohltuende Erstversorgung von Haden.
“Und nun den rechten Arm unter den Kopf, damit die Kotze auch schön neben deinen Kopf fließen kann.”, kommentierte er lächelnd.
Und ich erwiderte sein Lächeln.
Er war wirklich mein bester Freund.
Und plötzlich lief mein Leben vor meinem inneren Auge ab. Insbesondere die Szenen mit Haden. Ich fragte mich ob ich sterben würde. Aber als ich mich mit dem äußeren Auge umsah, sah ich den Sanitätsraum und schloss zufrieden die Augen, um die Momente mit Haden zu genießen. Da stellte ich mir die Frage ob man mit seinem besten Freund etwas anfangen sollte. Und ob Männlein und Weilblein überhaupt befreundet sein konnten. Ging das? Ging das gut? Nun begannen nicht nur die Bilder vor meinem inneren Auge schneller zu werden, sondern es wurde auch noch Hadens und mein Lieblingslied dazu eingespielt. Verrückt. Und als ob das nicht genug wäre, begannen sich aufeinmal ein paar Stimmen in meinem Kopf zu unterhalten (Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich die schon mit sechs Jahren los gewesen wäre. Schitt.):
Stimme 1: Du bist verliiiiiihiiiebt, Schatzi!
Stimme 2: Aber er ist schwul!
Stimme 1: Na uuuuuuuund. Liebe kennt keeeeeiiiiine Grenzen!
Stimme 2: Äh? Aber er hat schon mit Jungs gebujaht.
Stimme 3: Was interessiert Haden? Sie hat doch einen Freund.
Stimme 1: Ja, aber der ist Scheeeeeeiiißee.
Stimme 2: Aber er ist nicht schwul.
Stimme 3: Und er liebt dich doch so von Herzen.
Stimme 4: Höre auf deine innere Stimme, mein Kind.
Stimme 5: Alles Scheiße, was ihr labert. Liebe ist ein einziger abfuck. Sterben ist das einzig Wahre. Tod, Verderben, Tod, Verderben, Stiiaaarb!
Stimme 1: Es ist Liiiiiiieebeee!
Stimme 6,7: Love me, love me. Saaay that you love me. Fool me, fool me …
Stimme 8,9: It’s raining man. Hallelujah. It’s raining man …
Stimme 10: Wow, hier sind ja schon neun andere.

AAAAAAAAAAAAAAAARRRRRRRHHHHGG!!!

“Julie? Julie? Ja, sie ist eine sehr gute Schauspielerin, wenn es um Schlafszenen oder ‘Ich-bin-eine-Leiche-Standbilder’ geht. Naja, manchmal schläft sie auch wirklich dabei ein.”
Ich öffnete die Augen und sah Haden und ca. ein dutzend Andere über mich gebeugt besorgt dreinschauen.
“Mmm … mir gehts gut. Echt. Ich bin nur ein bisschen eingeschlafen.”, murmelte ich und tat verschlafen. Ich war verwirrt.
“Tja. So ist sie. Hab ich euch doch gesagt.” Die Menge verzog sich wieder.
“Ist echt alles in Ordnung, Jules? Ich war kurz davor einen Krankenwagen zu rufen und … dich wiederzubeleben.”
“Ähhhh …”
“Es sah aus als ob du in Trance warst. Oder so.”
“Ähh …”
“Aber jetzt isst du erst mal was. Das kommt von deiner Unterernährung. Du …”
“Haden?!”
“Ja?”
“Bitte, lass mich in Ruhe.” Ich stand auf und ging. Ob dieser Aufstand hier jetzt meine Note in dieser AG beeinflusst hatte, interessierte mich nicht. Ich brauchte Ruhe und Zeit und einen ruhigen Ort zum Nachdenken. Ich ließ einen völlig verdutzten Haden zurück, der aussah als würde er grade den Sinn des Lebens herausfinden wollen. Aber ich stürmte nach draußen und ließ Haden Haden und Erste-Hilfe-AG Erste-Hilfe-AG sein. Gott, war das wiedermal peinlich gewesen. Und das schlimmste war, dass mir langsam einleuchtete, welche Bedeutung diese Begegnung mit meinen 10 Ichs hatte. Ich war in Haden verliebt. In einen schwulen süßen Typen. Ich konnte es nicht fassen.
Vor dem großen Universitätsgebäude befand sich ein schöner Park mit einer großen Wiese, vielen Bänken und Blumen. Ich lief zur nächstbesten Bank und ließ mich nieder. Gott! Nachdenken. Ich musste nachdenken. Aber es war, als spielten meine grauen Zellen miteinander Verstecken. Ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich musste an ihn denken. An sein Lächeln. Seine unglaublich liebe Art und die Zuneigung, die er mir schenkte. Arrrgh. Er kann nur den männlichen Geschöpfen Gottes Zuwendung schenken. Nicht dir. Bilde dir nichts ein, Julie.
“Hey.”
Ich drehte mich um. Neben mir stand ein Typ mit schwarzen, kurzen, hochgegeelten Haaren und einem netten Lächeln im Gesicht.
“Du siehst ja ganz durch den Wind aus.”, stellte er fest.
“Äh.”
“Ich bin Vincent. Oder Vince.” Er grinste. Dann kam er näher und setzte sich neben mich.
“Hi.”, murmelte ich leicht verdrießlich und wandte mich ab.
Was wollte der Kerl? Ich meine, er sah ja schon ganz gut aus. Ok, er sah nahezu perfekt aus. Aber ich musste doch nachdenken.
“Kann ich dich zu einem Kaffee einladen?”
Du lieber Himmel, jetzt flirtete der auch noch mit mir.
“Tut mir leid. Aber ich hab grade Unterricht. Vielleicht ein anderes Mal.” Ich wollte aufstehen und gehen, als Vince mich am Arm packte.
“Das ist echt schade.” Er sah aus, als müsste er gleich weinen. Verdammt.
“Na gut. Ich meine, du scheinst ja auch die Uni zu schwänzen, oder?” Er leiß meinen Arm los und stand auf.
“Nein, ich hab frei.” Er grinste.
“War nur Spaß. Ich schwänze natürlich auch. Sonst wäre es ja nicht fair.”
Ich lächelte. Der gefiel mir.
Er lächelte zurück und bot mir seinen Arm. Wow. Ein Gentleman. Womit hatte ich das denn verdient.
“Danke.”
“Das sind eben gute Manieren aus gutem Hause.”
“Wow.” Wir spatzierten aus dem Park in Richtung City.
“Meine Eltern sind … naja … sie sind relativ bekannt.”
“Okay.” Wer konnte das wohl sein? Angelina Jolie und Brad Pitt? Aus gutem Hause?
“Aber ich will nicht angeben. Man sollte die Menschen ja sowieso nicht nach ihrer Abstammung beurteilen, oder?”
“Tatsächlich. Ich bin ganz deiner Meinung. Du bist so vernünftig und erwachsen. So etwas schätze ich an Menschen in meinem Alter sehr. Vorallem an Männern. Die meisten befinden sich ja noch mitten in der Pubertät und haben anscheinend den Schlüssel zum Ausgang verschlampt. Fußball und Mädels. Als wären wir gackernde Hühner, die nur darauf warten befruchtet zu werden und viele Kinder zu gebären. Um die sie sich dann auch noch selber kümmern müssen. Küche, Kinder und Haushalt ist ja unser Ding, aber was rede ich da. Du bist ja gott sei dank anders. Hoffe ich mal.”
Er lachte laut.
“Ist doch so.” sagte ich.
“Ja, du hast vollkommen recht. Das ist mir auch schon aufgefallen. Du bringst es nur so korrekt auf den Punkt, dass es ehrlich und zugleich auch komisch klingt. Ich mag deine Art, Julie.”
“Hey , hey. Jetzt flirtest du ja mit mir!” Er grinste zur Antwort und ich erwiderte sein Grinsen.
Da kam mir Haden wieder in den Kopf. Hau, ab, Haden. Weg da. Mach Platz. Du bist schwul und hast mir gefälligst nicht den Kopf wuschig zu machen, okay?
“Du siehst gedankenverloren aus.” stellte er fest.
“Oh ja. Das bin ich auch. Aber jetzt sind sie wieder weg. Die Gedanken.” Ich zwang mich zu einem Lächeln.
“Wer sind denn nun deine Eltern?” fragte ich, um das Thema zu wechseln.
“Das glaubst du mir ja sowieso nicht.” Er schüttelte den Kopf und lachte in sich hinein.
“Jetzt will ich es erst recht wissen.”
“Na gut. Aber lach mich nicht aus oder so.” Ich hob den Zeige- und Mittelfinger zum Zeichen des Schwurs.
“Schieß los.”
“Mein Vater ist Charles von England und meine Mutter ist Camilla, Prinzessin von England.”
“Ist nicht wahr.”
“Doch. Ich sag ja: Es ist einfach unwirklich.”
“Du bist ein Adeliger? Ein Prinz? Der Prinz von England? Du? Was machst du denn dann noch hier?” Mein Kiefer schien wie ausgeleiert. Ich musste aussehen, als wollte ich Fliegen mit dem Mund fangen.
“Studieren.” Schon wieder dieses Lachen. Langsam begann ich sein Lachen besonders an ihm zu schätzen. Es klang ehrlich und nicht als wollte er mich auslachen. Wie zum Beispiel bei Tyler, die mich, wenn ich mal so darüber nachdenke, eigentlich permanent auszulachen schien.
“Du lügst.” Ich lachte auch, weil es mir so absurd vorkam, dass ich mit einem englischen Prinzen irgendwo in Amerika abhing.
“Nein. Mein Vater war noch mit Prinzessin Diana zusammen, als meine Mutter mit mir schwanger war. Deshalb wurde ich erst in eine Pflegefamilie gesteckt, eine hochangesehene natürlich, und eine, die schweigen konnte. Und dann kam ich auf ein Internat in Amerika. Damit keine Geschichten aufkommen. England weiß praktisch gar nicht, dass ich existiere.”
“Wow.” Ich musste schlucken. “Ist aber irgendwie schade um so einen schönen Prinzen.”
“Jetzt flirtest du aber.” Er legte freundschaftliche einen Arm um mich und ich war glücklich. Mit Vince fühlte ich mich wieder wie zehn. Ich fühlte mich wie ein kleines Mädchen mit seinem besten Freund. Einer, mit dem man Pferde stehlen könnte und mit dem man direkt nach der Schule auf das geheime Baumhaus im Wald klettert, um sich über die sechs in Mathe auszuheulen. Es kam mir vor als würde ich ihn schon seit einer Ewigkeit kennen. Und als würde er mich besser als jeder andere kennen. Ein guter Ersatz für Haden, sagte ich mir. Der wurde ja von Tag zu Tag merkwürdiger. Da musste man schon früh genug an Ersatz denken.
“Hast du Hunger?” Er riss mich aus meinen Gedanken und ich war im sehr dankbar dafür.
“Kohldampf.” Ich leckte mit der Zunge über meine Lippen, um meinen Hunger zu symbolisieren.
“Gut. Lass uns etwas essen gehen. Ich lade dich ein.”
Klick. Scheiße. Ich war ein Vollidiot. Ich hatte mir nur Sorgen um Haden gemacht. Dabei hatte ich doch einen Freund. Auch, wenn ich ihn nicht liebte. Das konnte ich doch nicht machen. Mit zwei Jungs gleichzeitig. Oh nein. Und wenn uns jetzt Luke im Restaurant traf? Ich war so eine Sau. So etwas wie mich durfte es gar nicht geben.
“Tut mir leid, Vince. Ich muss jetzt los.” Nicht ganz ehrlich, aber ich war schließlich keine Herzensbrecherin. Also war es besser, wenn ich jetzt ging, bevor er sich noch Hoffnungen machen konnte. Obwohl ich ihn so mochte. Wie ein bester Freund.
“Oh”, machte er nur.
“Tut mir echt schrecklich leid, aber ich kann nicht.” Ich schluckte schwer. Er tat mir leid.
“Du hast einen Freund, stimmts? Dieser Haden?”
“Ja. Und nein. Um Gottes Willen, der ist schwul. Und nur ein Freund. Nein.” Ich lachte hysterisch auf.
“Okay. Ist doch in Ordnung. Aber wir gehen nocheinmal zusammen essen?”
“Großes Indianerehrenwort.” Ich lächelte. Er erwiderte es. Er war nicht beleidigt. Ein wahrer Freund.
“Gut, dann erlaube mir wenigstens, dich wieder zur Uni zur bringen. Wir wollen ja keinen Unterricht verpassen.”
“Stimmt.”
Am Eingang wartete Haden. Verdammt. Obwohl. Haden war doch schwul. Keine Konkurrenz für Vince. Er musste sich nicht schlecht fühlen.
Das tat er auch nicht. Im Gegenteil: Vince nahm mich in den Arm und legte sogar die letzten Meter lang seinen Arm um meine Hüfte. Ich schmunzelte nur als er mich mit einem unbeschreiblich schönen Lächeln bei Haden ablud und ging.
Haden lächelte nicht. Er hatte einen leicht verquälten Gesichtsausdruck. So als müsste er etwas loswerden. Oder, als hätte er vor irgendetwas Angst. Villeicht beides?
Er nahm mich bei der Hand und zog mich wieder in die Stadt. Wortlos folgte ich ihm. Toll, nochmehr schulfrei.
Er blieb stehen. In einer Fußgängerzone. Wir fielen kaum auf, als die einzigen Personen, die nicht durch die Gegend wuselten, sondern sich tief in die Augen sahen.
“Julie, ich muss dir etwas sagen.”
“Ich hab Bärenhunger, Haden können wir nicht erst was essen?” Sollte ich ihm sagen, dass ich unter anderem wegen ihm nicht auf Vince Einladung zum Essen eingegangen bin? Nein, entschied ich. Das kommt sowohl positiv als auch (leider) negativ. Das erweckt nur seine Eifersucht. Schließlich war Haden noch mein bester Freund.
“Julie, es ist mir wichtig, dass du es weißt.”
“Mppf”, maulte ich. Hunger.
“Ich liebe dich.”
STOPP. ANHALTEN. WHAT?
Was war das? Ich konnte nicht glauben, was ich da grade gehört hatte. Hatte Haden grade gesagt, dass er mich liebt. Nein, Julie. Sorry. Bilde dir nichts ein. Du hattest einen schweren Tag und, nein, das hatte er niemals gesagt. Das konnte gar nicht sein, weil er ja schwul war. Genau. Ha! Also.
“Hast du grade was gesagt?”, fragte ich möglichst beiläufig, weil es mir etwas peinlich war.
“Ich liebe dich.”
Und ZACK. Schon wieder einmal hatte mein Gehirn mich betrogen. Oder mein Gehör. Ich wusste nicht mehr weiter.
“Ähm. Entschuldigung, Haden. Aber ich hab … das immer noch nicht verstanden. Oder hast du grade … nein. Also könntest du es nochmal wiederholen? Bitte.” Ich lief rot an. Ich spürte es.
“So oft du willst, Julie. Ich liebe dich.”
Also doch. Mein Gehirn. Ich. Wir sind bescheuert. Komplett Banane.
“Entschuldigung, Haden. Aber ich glaube, dass ich irgendwie verwirrt bin und das hier alles nicht mehr mitbekomme und …” Mir gingen die Worte aus. Und meine Motivation eine weitere Erklärung für mein Verhalten zu finden, sprang grade nackt und mit einem Cocktail in der Hand über die Straße und wurde promt von einem Auto überfahren.
“Julie. Du hast richtig verstanden. Ich liebe dich. Wirklich. Ich will es dir erklären. Komm mit.”
Er führte mich zu einem Taxi, schob mich auf die Rückbank, setzte sich daneben und ließ den Fahrer in Richtung seiner Wohnung fahren. Ich ließ ihn gewähren, denn ich war in Trance. Das alles passierte nur neben mir. Ich war sozusagen nicht da. Nur mein Körper. Das war alles so verrückt.
Die Fahrt bekam ich nicht mit. Irgendwann saß ich dann auf Hadens Sofa und spürte seinen Arm um meine Hüfte und seine Hand in meiner.
“Julie? Darf ich es dir erklären?”
Ich konnte nicht antworten. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Was ich tun sollte. Er war doch mein bester Freund. Und ich liebte ihn. Und jetzt so etwas. Das ging doch nicht. Das passte nicht. Es war so verrückt.
“Ich tue es schon solange ich dich kenne. Und ich verberge es schon so lange ich dich kenne. Du hast einen Freund. Ich wollte das nicht zerstören. Er und du. Das schien so perfekt zu sein. Und dann kommt da so ein komischer Typ, der alles kaputt macht. Das geht doch nicht. Also erfand ich die Geschichte, dass ich schwul bin, damit ich wenigstens mit dir befreundet sein konnte. Denn, wie du weißt, funktioniert eine Freundschaft zwischen Frauen und Männern nicht, ohne das Liebe im Spiel ist. Gegen einen Schwulen wäre folglich nichts einzuwenden. Also wurde ich schwul. Scheinschwul. Und es kam gut an, merkte ich. Also spielte ich weiter. Doch mit der Zeit wurde meine Sehnsucht nach dir größer, Julie. Ich konnte nicht mehr ohne dich leben. Ich wachte morgens auf und wusste, dass ein weiterer Tag als dein bester Freund beginnen würde. Ein weiterer Tag ohne deine Liebe. Ohne deine Lippen auf meinen zu spüren. Ich verbrachte meine Zeit damit, nur an dich zu denken. Für dich zu leben. Alles was ich tat, tat ich für dich. Und, wenn ich abends ins Bett ging, konnte ich nicht einschlafen ohne an dich denken zu müssen. In der Nacht wachte ich auf, weil ich wieder von dir geträumt hatte und dann stand ich auf und ging in den Flur und lauschte an eurer Tür, um zu wissen, dass es dir gut geht. Ich bin verliebt. Ich bin verrückt, ich weiß. Aber ich kann nicht mehr. Und, wenn du mich jetzt hasst, dann tue es. Aber ich wollte, dass du das alles weißt. Und ich bin mir im Klaren darüber, dass ich jetzt unsere Freundschaft zerstört habe. Aber ich möchte keine Freundschaft mit dir, ohne dich dabei lieben zu können.”
Langsam kam ich zu mir. Hadens Worte schwirrten in meinem Kopf herum. Seine Stimme ging nicht mehr aus ihm heraus. Seine sanfte liebevolle Stimme. Alles was ich jetzt noch hatte. Es stimmte, er hatte alles zerstört. Es hätte so schön sein können. Aber was war anders? Ja, ich hatte einen Freund. Aber ich liebte ihn doch nicht. Nicht mehr. Wäre es also ethisch vertretbar, wenn ich mit Haden zusammen kommen würde und vorher nicht mit Jonas Schluss machte, um ihm nicht das Herz zu brechen? Nein. Oder? Verdammt.
Ganz unbewusst kullerten mir dicke Tränen die Wangen hinunter und ich kuschelte mich an Hadens starke Brust, die wie immer so gut roch. Sein Griff wurde stärker und er drückte mich liebevoll an sich. Eigentlich war das doch alles, was ich mir in meinem Unterbewusstsein immer so gewünscht hatte. Aber mein Bewusstsein sträubte sich gegen die massive Veränderun in meinem Leben.
“Bitte weine nicht.”, flüsterte er und wischte mir eine Träne aus dem Gesicht. “Ich möchte nicht, dass du wegen mir weinst, Julie. Das bin ich nicht wert. Jetzt erst recht nicht mehr.”
Ich wollte ihm widersprechen, aber ich konnte nicht. Meine Stimme versagte. Ich schluckte schwer und spürte den Kloß in meinem Hals und den Knoten in meinem Magen. Langsam schlief ich ein. In seinen Armen. Warm und geborgen. Und doch so fern von jeglicher Realität. Ich fiel in einen tiefen traumlosen Schlaf.

5. Kapitel

Als ich aufwachte, lag ich nicht mehr auf dem Sofa, sondern in Hadens Bett. Allein. Er war auch nicht der Typ, der eine solche Situation ausgenutzt hätte. Obwohl, was wusste ich schon über den echten Haden. Ich kannte ihn doch gar nicht. Alles war gespielt. Alles war nun anders. Ich wusste nicht in wen ich mich verliebt hatte. Etwa in den schwulen Haden? Den süßen, kleinen Sunnyboy zum Abknutschen, in den Weiblichen? Oder in den Echten? Und wie war Haden eigentlich in Wirklichkeit? Ich wusste gar nichts über ihn. Ich wurde von einem sanften Streicheln über meine Haare aus den Gedanken gerissen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Haden herein gekommen war.
“Weißt du noch was ich dir gestern abend erzählt habe?”
Ich nickte.
“Es tut mir so unendlich leid. Aber, versteh doch. Ich kann nicht leben mit dir, neben dir, ohne, dass du es weißt. Jetzt weißt du es.”
“Ich gehe jetzt besser.”, flüsterte ich kaum hörbar. Dann verließ ich seine Wohnung.

Ty saß in der Küche und las Zeitung, wie jeden Morgen. Als ich reinkam sah sie nicht auf. Ich setzte mich ihr gegenüber an den Tisch und nahm die bereitgestellte Tasse Kaffee. Innerlich dankte ich ihr dafür. Aber zum Sprechen war ich nicht bereit.
“Ich frage am besten gar nicht erst was mit dir los war und wo du in Sport warst oder was du die ganze Nacht über mit Haden getan hast?”
Sie sah immer noch nicht von ihrer Zeitung auf. Ich stellte meine Tasse ab, zog die Beine an, machte mich klein, legte mein Gesicht auf die Knie und weinte.
“Oh Gott.”, rief Ty sofort und kam um den Tisch rum, um mich in den Arm zu nehmen.
“Hat er dir was angetan? Soll ich die Polizei rufen? Musst du ins Krankenhaus? Soll ich ihm eine reinhaun? Was?” Sie war ganz außer sich. Und irgendwie hatte das etwas Beruhigendes, zu wissen, dass jemand für mich da war und sich um mich sorgte.
Ich schluchzte nur noch heftiger und es dauerte eine Weile und etliche Taschentücherpackungen lang, bis ich überhaupt ein Wort rausbringen konnte.
“Haden.”
“Also doch.”
Ich wusste, dass Ty das jetzt nur gesagt hatte, um schlau zu wirken. Aber in Wirklichkeit verstand sie immer noch nur Bahnhof. Aber wie sollte ich ihr erklären, dass ihr (und mein) bester Freund nicht schwul war.
Unter anderen Vorraussetzungen wäre das ja warscheinlich ein Kinderspiel gewesen. So was von wegen: “Hey, übrigens, Haden ist gar nicht schwul. Er tat nur so. Cool, ne? Ein gutaussehender Typ zum verlieben mehr. Hahaaaaaaa.”
Tja. Das wäre dann vielleicht sogar witzig gewesen. Aber so?! Ich wusste nicht weiter. Sollte ich mich jetzt schämen oder sollte ich glauben, Haden wäre durchgeknallt oder sollte ich seine Masche süß finden oder sollte ich mit Jonas Schluss machen oder sollte ich vielleicht zuerst einmal Tyler, die beinahe so aussah, als wenn sie gleich selbst weinen müsste, aufklären?
“Ty?”, brachte ich mühsam hervor.
“Was ist passiert, meine Süße?”
Ich konnte doch nicht einfach … nein. Ich konnte es ihr nicht sagen. Die letzte Nacht würde für sie immer ein Geheimnis verbergen. Sie würde niemals erfahren, was … klang das jetzt dämlich?
“Nichts. Es ist nichts. Ich hatte nur so einen Anfall und …”
“Äh. Jules? Du bleibst die ganze Nacht weg. Bei einem Schwulen. Kommst am Morgen wieder. Vollkommen blass und aufgeweicht, wie ein labbriges Stück Toast. Heulst dann auf einmal los wie eine durchgeknallte Psychopatin und willst mir jetzt sagen, dass nichts los ist? Hör mal, mein Früchtchen, ich kenne dich jetzt schon ganze … äh … etliche Jahre eben und bin deine beste Freundin. Du. Kannst. Mir. Nichts. Vormachen!”. Sie grummelte etwas und starrte mich schon fast hypnoseartig an.
“Schon gut. Wir sehen uns dann nachher in Sport.” Ich stand auf und wollte gehen, als sie mich am Handgelenk packte (Langsam hatte ich genaug davon. Alle Welt packt mich am Handgelenk, um mir noch irgenetwas anscheinend Wichtiges mitzuteilen. Aaaaargh. Ich laufe doch nicht weg. Man muss nicht sofort handgreiflich werden!).
“Was?”, stöhnte ich und wischte mir unauffällig die letzte Träne mit dem Ärmel meiner neuen dunkelblauen Armani-Bluse weg.
“Wenn ich es herausfinden sollte, wenn ich bemerken sollte, dass in der letzten Nacht irgendetwas nicht so war wie es hätte sein sollen, dann bist du so was von tot!”. Sie tötete mich grade schon zum vierten Mal in diesem Satz mit ihren teuflischen Blitz-Blicken und ich ließ es über mich ergehen. Dann ging ich weg.

Vor der Eingangstür der Universität bemerkte ich dann, dass ich meinen Hausschlüssel schon wieder vergessen hatte. Damn!
Wo hatte ich denn jetzt Unterricht? Eine Vorlesung. Ja, ich hatte ganz sicher eine Vorlesung. Die fanden für gewöhnlich in einem der großen Vorlesungssäle statt. Oder gab es da Ausnahmen. Mh. Ich beeilte mich zu den Vorlesungsräumen zu kommen, da ich schon viel zu spät war. Und wenn man mitten in eine Vorlesung platzte, blieb man lieber ganz draußen.
Ich kam, sah, verkackte. Wie schon vorhersehbar platzte ich mitten in eine Vorlesung. Das Schlimme: es war nicht die, in die ich sollte. Die Tür ging auf. Ein verwirrtes kleines Menschlein platzte herein, sagte ‘Hallo’, setzte sich, guckte sich um, sprang auf, rannte raus.
Wie peinlich. Aber das war ja nicht das erste Mal, dass mir so etwas passierte.
Im Flur lehnte ich mich ersteinmal gegen die Wand und verschnaufte. Warum musste mir so etwas immer passieren? Warum konnte ich nicht einfach ein ganz normales Leben führen dürfen? Scheiße. Und was, wenn ich Haden heute wieder sehen würde? Ich konnte ihn doch nicht mehr angucken. Ich konnte mich selbst nicht mehr angucken. Ich war ein hoffnungsloser Fall. Wie konnte ich Erziehungswissenschaft studieren, um anderen Menschen das Leben beizubringen, wenn ich das noch nicht einmal selbst schaffte? Argh.
Langsam rappelte ich mich auf und schlurfte mutlos den scheinbar endlos langen Flur entlang, ohne jegliche Pläne, wohin ich sollte oder was ich als nächstes machen sollte. Und das weder für jetzt, für diesen Augenblick, noch für mein gesamtes weiteres Leben. Hatte ich denn alles falsch gemacht?
“Julie?”
Eine bekannte Stimme.
Ich drehte mich um.
“Hey, Ash.”
“Du siehst echt beschissen aus.”, sagte diese Jessika Alba mit ihrer doppelten Ausgabe eines Flistona – Metal Chain Bootie von Manolo Blahnik an den Füßen (Warum bekamen Schuhe eigentlich Frauennamen? Genau wie Kartoffeln …) und der neuen Beale Metallic Leather Hobo von Jimmy Choo in der Armbeuge. Bei ihrem Anblick wird man schon nicht mehr grün vor Neid. Kein Wort der Welt könnte dieses Gefühl von Ich-möchte-so-sein-wie-sie ausdrücken.
“Danke. Und du siehst aus wie immer.”
“Dankeschön, Schatz. Was ist los?”, fragte sie, als würde es um das Wetter gehen und hakte sich bei mir ein, während sie mich in Richtung Ausgang schleifte.
“Ach, alles ist scheiße. Und ich hab vergessen, wo wir jetzt Unterricht haben.”
“Süße, die Vorlesung fällt heute aus. Mr Guttler ist krank.”
Schon wieder hätte ich heulen können. Vor Wut. Und vor Verzweiflung. Und vor lauter Angst gar nicht mehr zu wissen, wer ich bin und was ich will und weswegen ich überhaupt heulen muss. Es war zum kotzen. Und ich wusste nicht einmal mehr, ob ich gerade träumte oder, ob das alles wirklich passierte.
“Ash? Ich bin der häßlichste und dümmste Mensch der Welt.”
“Sind wir das nicht alle?” Sie blieb stehen und nahm mich in den Arm. Es kam wie es kommen musste. Ich heulte. Mein Kopf dröhnte und es pochte so unglaublich laut. Der Schmerz übertönte jedoch nicht meine grässlichen Gedanken an Haden.
“Julie? Ich weiß ja, dass es warscheinlich schwer für dich ist einen klaren Gedanken zu fassen, aber du kannst nicht den ganzen Tag mit heulen verbringen. Ich hab die Idee! Wir setzen uns jetzt gemütlich in ein Cafè und du erzählst mir zwischen Cappucino und Apfelstrudel mal ganz langsam, was passiert ist.”

Ich zitterte. Traurigerweise musste ich feststellen, dass meine Hände auch nach meinem dritten Cappuccino noch nicht warm wurden. Ich hatte Ash alles erzählt. Fragt mich nicht wieso ihr und nicht Ty. Ich weiß es selbst nicht. Vielleicht stand ich Ty zu nahe. Konnte ihr das nicht zumuten. Andererseits war SIE doch meine beste Freundin, nicht Ash. Ich hatte das Gefühl alles falsch zu machen und erhielt dafür auch noch gratis schlechtes Gewissen.
“Ich fasse es nicht. Ich glaub es nicht. Er ist doch so …”
“… weiblich?”, versuchte ich ihr auf die Sprünge zu helfen.
“… unglaublich süß.”
“Verlieb dich nicht immer in die Bösen, Ash.”
“Komm, Süße. Es war nur ein Joke. Ich finde doch gar nichts an ihm. Ehrlich. Aber die Frage ist ja auch nicht was ICH an ihm finde, oder?”
Ich schniefte und ließ das Gesicht in die Hände sinken.
“Er ist kein böser Mensch. Zugegeben, ein bisschen bescheuert ist er schon. Aber gleich und gleich gesellt sich gern, stimmts?” Sie grinste.
“Er hat einen Fehler begangen. Und es war eine wirklich bescheuerte Idee, dir einen Schwulen vorzuspielen, um in deiner Nähe sein zu können. Wie verrückt. Aber auch unglaublich süß.” Ich stöhnte. “Okay, du hast ja recht, Julie. Mehr verrückt, als süß. Aber, hey, denke positiv! Du bist so eine furchtbare Pessimistin! Was willst du denn tun? Was würdest du tun?” Sie streichelte mir sanft über den Kopf, doch ich kannte die Antwort nicht wirklich.
“Ich bin keine Pessimistin, Ash.” Sie tadelte mich mit einem ‘bist-du-bescheuert-Blick’. “Wirklich. Aber, was würdest du denken, wenn dein bester Freund, der schwul, also sowohl uninteressant, als auch tabu für dich ist …”
“Wenn er tabu für mich ist, ist er doch so oder so uninteressant …”
“ASH.”
“Sorry.”
“Also, was ich sagen will ist doch nur, dass er schwul war und für mich tabu und ich nie im Leben an eine Beziehung mit ihm gedacht habe. Dann kommt der Idiot und behauptet mich zu lieben. Ich, homongestört wie ich nunmal bin, bekomme gleich Herzrasen und Sternchen-Augen. Einen Tag später war dann alles doch nur ein Versehen oder Missverständnis oder ein Fehler, oder was? Was soll ich denn jetzt fühlen? Was soll ich denn bitte machen?”
“Ok, Jules. Das ist scheiße. Wenn ich in deiner Situation gewesen wäre, ich hätte selbst keinen Peil und würde mich warscheinlich irgednwohin verkriechen und heulen. Und nachdenken. Aber du bist nicht ich und deswegen hast du mich.” Sie machte eine Pause, aber ich musste sehr verwirrt ausgeschaut haben, da sie schnell abwinkte und weiteredete.
“Ein Beispiel. Stell dir vor, du findest eine Katze. Und du hast noch nie etwas zuvor mit einer Katze zu tun gehabt. Ok? Du musst das jetzt verbildlichen!” Auf ihrer süßen kleinen Stirn bildeten sich Fältchen, während sie versuchte mir zu helfen dieses konfuse Beispiel zu verinnerlichen.
“Du analysierst die Katze und lernst sie kennen. Und du freundest dich mit ihr an. Ich denke so eine Freundschaft wäre bei deinem jetztigen Zustand echt gefährlich für die Katze.” Sie grinste und ich musste auch ein wenig lächeln.
“Also: Eines Tages verschwindet die Katze. Und du bist verwirrt, weil du dir doch immer solche Mühe gegeben hast und sie so geliebt hast. Ein paar Tage später kommt ein Hund. Er sieht genauso aus wie die Katze und verhält sich auch genauso. Aber du erkennst deine Katze kaum noch wieder. Doch aufeinmal scheint dir der Hund zu gefallen, denn er ist ja genau wie deine Katze und so … Punkt, Punkt, Punkt.”
“Ich mag die Geschichte nicht. Irgendwer müsste sterben, damit sie schön wird.”
Ashley runzelte tadelnd die Stirn, sagte aber nichts. Ich grinste.
“Also soll ich den Hund jetzt annehmen?”, fragte ich zögerlich.
“Er ist kein Hund. Es ist deine Katze. Sie hat nur das Aussehen eines Hundes.”
“Ich sollte ihn behalten und für ihn sorgen.”
“Sonst stirbt er.”
Ich zog eine Augenbraue hoch.
“Haden stirbt?” fragte ich entsetzt
“Biiiild-lich!”
“Stimmt, Haden ist ja auch kein Hund. Oder Katze?”
“Julie! Der Hund stirbt, wenn du ihn nicht fütterst. Haden … mh … Lass mich nachdenken. Haden wird warscheinlich nie wieder glücklich oder so.”
Ich biss mir auf die Unterlippe, bis es wehtat. Doch das war noch gar nichts gegen den Schmerz, den Haden gerade spüren musste, das wusste ich. Ich war so blind. Vor Wut. Vor Enttäuschung und vorlauter Angst ihn so zu nehmen wie er war.
“Ash? Was soll ich denn jetzt machen? Wenn Ty das erfährt bringt sie mich um. Sie wird das nie verstehen. Nie. Ich habe sie angelogen. Ich habe ihr gesagt, dass nichts passiert ist.”
“Dummes Kind.”, sagte sie und stand auf. “Ich bin weg. Muss noch mein Einhorn füttern und die fleischfressenden Pflanzen gießen.”
Ich lächelte.

Meine Finger waren gefroren und mein Herz schlug wie bei meinem ersten Date. Es war, als wollte es stehen bleiben.
Trotzdem schaffte ich es irgendwie zaghaft an die Tür zu klopfen. Eine halbe Sekunde später stand er an der Tür. Als wäre er den ganzen Tag lang damit beschäftigt gewesen an der Tür zu stehen und zu lauschen. Doch selbst, wenn das so wäre …
“Julie?”
“Kann ich reinkommen.”
“Mh.” machte er und sah sehr nachdenklich aus. Trotzdem trat er beiseite, um mich durchzulassen.
Ich ging geradeaus durch den Flur und setzte mich direkt auf seine Couch. Er folgte mir, doch dann blieb er vor mir stehen und sah mir direkt in die Augen. Und sein Blick war leer. Ich verstand es nicht. Wie kann man jemanden lieben und ihn dann auf diese Weise anschauen. Das ist doch gesetzeswidrig. Damit machte er mir außerdem eine tierische Gänsehaut. Wo war nur der Haden, den ich kannte und liebte?
“Haden …”
“Wieso bist du gekommen?” unterbrach er mich unwirsch und es schien fast, als würde er fauchen.
“Du liebst mich doch?” Scheiße klang das selbstverliebt. Wie verstörend, dabei sollte es doch wahr sein. Oder hatte ich das nur geträumt.
“Das spielt keine Rolle mehr. Du bist schließlich nicht gekommen, um mir zu sagen wie meine Gefühle für dich aussehen oder? Ich glaube, dass nur ich allein das am besten beurteilen kann, Julie. Ich hatte mir eingebildet, dass du anders reagieren würdest. Ich war so unglaublich naiv, zu glauben, du könntest es verstehen und wir könnten zusammen sein. Ich bin ein schrecklich naiver Idiot gewesen und hab mich total zum Volltrottel gemacht. Erzähl es ruhig den anderen, dass ich nicht wirklich schwul bin. Es ist einfach lächerlich.” Er knirschte mit den Zähnen.
“Ich verstehe nicht, Haden. Heute morgen …”
Er dehte sich um und ging zum Fenster. Schöner Rücken.
“Julie. Du kannst mich nicht unterstützen indem du die Welt einfach mit rosa Blümchen schmückst und mit deiner Glöckchenstimme sagst ‘Tadaa, jetzt ist die Welt wieder in Ordnug’. Du kannst mich nicht nehmen wie ich bin. Ich bin anders. Ich bin verrückt. Ich hatte eine scheiß Idee. Und ich weiß, dass ich froh sein sollte, dass du jetzt zu mir kommst und so. Aber ich kann nicht. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich habe Angst, dass unsere Freundschaft kaputt gehen könnte. Das will ich nicht. Und du hast dich vielleicht in den alten Haden verliebt. Doch vor die stehe ich. Es war wirklich ein Fehler von mir so gutgläubig zu sein und zu glauben, du könntest das verstehen. Ich kann nicht mit dir zusammen sein.”
Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich … er hatte doch gesagt, dass er mich liebt. Sogar ganze vier Mal.
“Scheiße, Mann, Haden. Das kannst du nicht bringen. DU sagts, du willst unsere Freundschaft nicht zerstören? Was glaubst du denn bitte, was du hier gerade tust? Verrat mir das mal, bitteschön? Was soll das? Du benimmst dich scheiße, Haden. Egal was, oder wer du bist. Du benimmst dich einfach scheiße mir gegenüber. Als erstes faselst du von ‘Ich liebe dich’ und stellst damit mein gesamtes Leben auf den Kopf. Dann entscheidest du dich auf einmal um und zerstörst alles. Ich weiß nicht, was ich fühlen soll, Haden. Sag du es mir! Was soll ich denn bitteschön fühlen? Glaubst du nach so einer Scheiße können wir noch befreundet sein wie vorher? Glaubst du echt, dass wir uns morgen in der Uni in den Arm nehmen wie früher und dabei nichts fühlen? Wie naiv bist du? Und was, bitteschön, möchtest du Ty und den anderen erzählen? Hä? Willst du ihnen etwa weiter den Schwulen vorspielen? Oder willst du alles auflösen? Und dann? ‘Wieso hast du denn den Schwulen gespielt, Haden? Sag doch mal!’ und, was willst du ihnen dann sagen? Für Julie? Garantiert nicht. Du wirst lügen. Und ich hasse es, wenn man meine Freunde belügt. Hör auf mit dem scheiß, sage ich dir. Du machst mich so fertig!” Ich zitterte vor Wut und Verzweiflung und schaute ihm in die Augen. Nichts als Schmerz. Ich bekam Mitleid mit ihm. Doch wo war die Reue? Die Entschuldigung. Das Versprechen, alles gut zu machen? Wo war mein bester Freund?
“Kannst du mich jetzt bitte allein lassen. Ich habe heute Abend noch etwas vor.”, flüsterte er plötzlich mit der selben Leere, die ich auch zuvor schon in seinen Augen erblickt hatte.
“Damit änderst du nichts, Haden! Es ändert gar nichts, wenn ich jetzt gehe.” Ich stand auf und ging. Vor der Haustür drehte ich mich noch einmal um.
“Wir waren mal Freunde, Haden. Du hast es zerstört. Und ich finde das nicht fair. Ich hatte mal einen Traum. Es war ein Märchen und ich war die Prinzessin. Da war ein Prinz”, erinnerte ich mich. “der mit einem Pferd zu mir geritten kam. Und sein Stiefbruder, der mich ebenfalls wollte. Doch er war besessen und böse. Er wollte mir nur wehtun. Der andere dagegen hätte mir den Mond vom Himmel geholt, damit ich glücklich bin. Du warst einmal der gute Prinz, aber wer bist du nun, Haden? Triff deine Entscheidung!”
Hinter mir machte er die Tür zu und ich ließ mich auf den Boden in den Flur fallen und weinte. Mein Kopf schien zu platzen und meine Augen schmerzten schon vom vielen Weinen heute. Kennt ihr das Lied ‘Happy Ending’ von Mika? “This is the way you left me, I’m not pretending. No hope, no love, no glory, no happy ending. This is the way that we love, like kids, forever. Than live the rest of our life, but not together”, sang ich leise und heulte dabei immer mehr. Wie wahr manche dieser Texte doch waren. Wie Alpträume.

6. Kapitel

Ich musste eingeschlafen sein. Und als ich jetzt aufwachte durfte ich nicht nur feststellen, dass es mitten in der Nacht war. Ich fühlte mich auch noch wie ein obdachloser Krüppel mit furchtbaren Kopf- und zu allem Unglück auch noch Rückenschmerzen. Wie ich aussehen musste!
Ich rappelte mich auf und kramte in meiner Hosentasche nach dem Hausschlüssel. Da fiel mir ein, dass ich ihn ja vergessen hatte und zwang mich nicht direkt wieder loszuheulen.
Die Kräfte, die ich benötigte um an der Tür zu klopfen verließen mich noch bevor ich sie überhaupt sammeln konnte.
Also machte ich mich auf den Weg nach draußen in die Nacht. Ty würde, falls sie überhaupt zu Hause war, sowieso nicht aufmachen. Wenn sie schlief könnte man sogar mit einer Dampfwalze und allen möglichen weiteren Baustellenfahrzeugen um sie herumfahren und sie würde noch nicht einmal mit der Wimper zucken.
Aber aufeinmal musste ich wieder an Haden und seine komische Art denken.
Was war passiert, dass er mich nun so behandelte? War er womöglich schizophren (Ganz abgesehen davon, dass ICH schon zehn Stimmen in meinem Kopf hörte natürlich)? Der Gedanke beunruhigte mich. Er brauchte ganz sicher ärztliche Hilfe. Der Ärmste.
Ich schleppte mich mühsam in die nächste Kneipe und bestellte mir gleich einen dreifachen Whiskey. Ich konnte Whiskey nicht ausstehen, aber in irgendetwas musste ich meine Verwirrtheit ja nunmal ertränken.
Nach dem zweiten Dreifachen musste ich mir eingestehen, dass ich ein völliger Vollidiot war und sackte daraufhin in mich zusammen. Drei starke Typen halfen mir zwar auf, was ich sehr nett fand, warfen mich allerdings daraufhin hinaus, worüber ich ziemlich empört war.
Aber nachdem ich über eine halbe Stunde lang die Nachbarschaft lauthals mit den schönsten Kinderliedern, die mir mein Gedächtnis so bieten konnte, besungen hatte, wurde mir etwas langweilig und ich fing an, mich zu wundern warum ich von oben bis unten klitschnass war. Mir fiel die Ursache und so auch der Auslöser meiner äußeren Feuchtigkeit einfach nicht mehr ein. Ich blickte an mir hinunter und fing an zu weinen wie ein Kleinkind.
Ein unglaublich unverschämtes “Halt die Fresse, Schlampe.” schreckte mich so dermaßen auf, dass ich wegrannte.
Vor meiner Haustüre angekommen klopfte ich so fest ich konnte gegen die Tür. Warum machte die blöde Kuh denn nicht auf? Ach ja. Sie schlief. Mh.
Während ich gedankenversunken trotzdem weiter gegen die Tür klopfte und dabei “We all live in the yellow submarine” mehr brüllte als sang, packte mich jemand an den Schultern.
“Julie?”
“Was ssssollll dassss?” brüllte ich und drehte mich um.
“Ha-Ha-Haaaiiiiidäään!” Vor Freude umarmte ich ihn so fest ich konnte. Doch das war ein schlechtes Gefühl, denn er konnte nie mit mir zusammen sein.
“Nicht jetzt, Julie. Psst. Wir spielen ein anderes Mal ‘Ich zerquetsch dich bis du stirbst’ ok?”
“Wir können nie zusaaaammen seeeein. Scheeeeeißeeee!” Ich heulte schon wieder, was mir aber erst bewusst wurde, als Haden mir sanft eine Träne von der Wange strich.
Er nahm mich auf seine (starken, unglaublich starken starken) Arme und trug mich in seine Wohnung.
Ich taumelte ein wenig, als er mich “abstellte” und stellte fest, dass er nur eine Boxershorts anhatte.
“Wieso tust du daaaas?” lallte ich und registrierte kaum, dass er mich auf sein Bett zu schob.
“Alles ist gut, Julie. Komm, schlaf dich aus. Es war ein harter Tag für dich. Aber warum betrinkst du dich nur? Du kannst doch nicht einfach so viel Alkohol trinken. Wer weiß, was dir zugestoßen wäre, wenn du in dem Zustand draußen auf der Straße rumlaufen würdest? Dir hätte sonstt was passieren können. Mach das nie, nie wieder, Julie. Du machst mir echt Angst. Mach das nie wieder!” Er hob den Zeigefinger wie zu einem kleinen unartigen Kind, dass unerlaubt Süßigkeiten gegessen hatte.
Ich ließ mich auf sein Bett fallen (Leider relativ unkontrolliert und deswegen auch eigentlich ungewollt, denn ich war stark und selbstbewusst und er sollte sich erst entschuldigen. Aber das fiel mir erst auf als es schon zu spät war.) und versuchte mich zu erinnern, warum ich mich betrunken hatte. Was war doch gleich der Grund gewesen? Meine Eltern? Mein Ex? Ach, ich war ja noch mit ihm zusammen. Dringend auf die To-Do-List setzen: Mit Jonas Schluss machen! Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Ich wollte schlafen. Aber wo war ich eigentlich …
“Schieße, ich bin in deinem Bett, Haden. Wie bin ich hier hingekommen. Du kannst niiiieee mit mir zusammenkommen, Haden. Wiesoooo?” Ich ließ mich unbeholfen in Hadens Arme fallen. Alles drehte sich und irgendwie war das so schön und ich fühlte mich so unglaublich geborgen in seinen Armen. Oh.
“Julie? Julie. Ich …”
“Du liebst mich nicht!” maulte ich wie ein kleines Kind und schubste ihn weg, was ihn allerdings nicht dazu veranlassen konnte, sich auch nur einen Zentimeter von der Stelle zu bewegen. Wie Stahl. Oder Granit. Faszinierend.
“Julie. Bitte. Bitte nicht weinen. Nicht …” Weinen? Wieso weinen? Weinte ich etwa? Oh. Ja. Ich heulte tatsächlich (schon wieder einmal an diesem Abend) wie ein Schlosshund. Wie peinlich! Und das vor Haden! Oh nein. Ich seufzte.
“Komm, ich bring dich in deine Wohnung. Du siehst erschreckend furchtbar aus, Schatz. Was …”
Ich sackte zusammen und schlief ein.

Ich wachte mit den grausamsten Kopfschmerzen der letzten zehn Jahre auf. Und … ich hatte einen Filmriss wie ich ihn schon seit meiner Jugend nicht mehr gehabt hatte. Ich wusste nichts mehr von gestern Nacht. Mh. Ich hoffe ich hatte nichts Peinliches veranstaltet, nachdem die mich aus der Kneipe geworfen hatten.
Ich räkelte mich und setzte mich auf. Warum hatte ich noch meine Kleidung an? Scheiße. Ich hatte bestimmt, ganz sicher, etwas Peinliches angestellt. So schlimm, dass ich vergessen hatte mir den Schlanfanzug anzuziehen. Und das Schlafanzugtragen hatte bei mir einen durchaus hohen Stellenwert angenommen, seit ich früher mal mit einer Armani-Bluse eingeschlafen bin und in der Nacht gekotzt habe.
Und, wenn ich tatsächlich etwas Peinliches angestellt hatte? Oh, nein. Und keiner konnte mir sagen, was. Verflixt.
“Julie, Süße? Bist du wach?” Ty war schon in der Küche.
“Jaha!” schrie ich und da erschien Tyler schon in der Tür.
“Wann bist du denn gestern Abend nach hause gekommen? Ich hab dich gar nicht gehört.”
Gute Frage. Zehntausend Euro füüüüüür TYLER! Scheiße.
“Du hast keine Ahnung, stimmt’s?” Mitfühlend sah sie zu mir hinunter.
“Scheiße, Ty. Ich hasse so etwas. Ich bin mir nicht sicher, ob ich nicht was Verbotenes gemacht habe oder irgendwas Peinliches. Ich bin so eine … Wurst!”
“Ach, was. Ich glaube du bist der intelligenteste Mensch der mir jemals unter gekommen ist! Ganz bestimmt!”
“Wie kommst du darauf?” Mir graute schon vor der Antwort.
“Du hattest deinen Schlüssel vergessen, Süße. Und trotzdem liegst du hier drin. In deinem Bett. Hinter der verschlossenen Tür. Und ich bin nicht aufgestanden, um dir die Tür aufzumachen. Ganz bestimmt nicht. Und geschlafwandelt bin ich schon seit … egal, es ist jedenfalls schon irre lang her. Also … du Magierin! Ich bin stolz auf dich. Besoffen und doch unbemerkt. Die Neue Bibi Blocksberg steht vor mir. Und sie kann sogar stockbesoffen durch Wände gehen. Oder sogar NUR ohne stockbesoffen. In diesem Fall wärst du zwar eine sehr ungewöhnliche Hexe, aber auch eine komische, wenn du andauernd besoffen sein musst, um …”
“TYLER!”
Sie krümmte sich vor Lachen.
“Das ist alles andere als lustig! Wie bin ich hier rein gekommen? Ist die Tür eigentlich noch ganz? Stell dir mal vor, die Polizei hat mich gebracht, weil ich irgendeinen Scheiß verbrochen hab? Und dann hat keiner aufgemacht, als sie geklingelt haben und dann haben sie die Tür eingetreten …”
“Schatz? Die Tür ist ganz. Beruhige dich doch mal.” Sie setzte sich neben mich aufs Bett und kroch zu mir unter die Bettdecke. “Echt, Süße. Wir finden schon heraus, was letzte Nacht passiert ist. Auch, wenn es vielleicht … auch, wenn es bestimmt ziemlich peinlich für dich wird.”
“Ich will nicht mehr, Ty! Ich will nicht mehr.” kreischte ich und zwang mich dazu, mich zu beruhigen. Wenn ich meine Freundin wäre, hätte ich Julie schon längst für verrückt erklärt.
Stimme 1: Genaaaaaau, Julie. Du bist verrüüüüüüüüückt.
Stimme 2: Mein Gott, jetzt hat sie’s!
Stimme 1: Braaaaaaaavo!
Äh, Leute? Hört auf mir mein Hirn wuschig zu machen. Ihr habt hier nix verloren. Haut ab!
Stimme 3: Wir sind deine besten Freunde und die einzigen, die wissen, was du letzte Nacht so Schlimmes getan hast. Hehe.
Was? Sagt es! Ich will es hören! Sagt es!
… Stille. Hatte ich gerade den berühmten Satz von Edward, dem Vampir aus Twilight, zu den zehn Stimmen in meinem Kopf gesagt?
“Scheiße, Ty. Ich muss hier raus.” murmelte ich und stand auf.

In der Uni traf ich Vincent.
“Hey, Julie. Wie gehts dir so? Du siehst ja irgendwie immer ziemlich durch den Wind aus, wenn wir uns treffen.” Er grinste so breit, dass ich ebenfalls lachen musste.
“Du hast recht. Ich bin ein schlechte-Laune-Macher. Ich sollte mich mal zusammenreißen. Aber du glaubst ja gar nicht, was mir passiert ist.” Er zog eine Augenbraue hoch.
“Ich bin betrunken gewesen letzte Nacht”, er grinste, anscheinend fand er die Vorstellung, dass ich betrunken war witzig. Oder er fand es witzig, weil er sich dachte, dass ich ja öfter mal betrunken bin. Kein gutes Image, Julie. “und trotz nicht-vorhandenem Schlüssel in meine Wohnung gekommen. Meine Mitbewohnerin hat geschlafen und ich bin so unglaublich verwirrt, Vince.” Er grinste immer noch. Wieso lachte mich alle Welt aus?
“Das klingt ziemlich beschissen. Und, ich lache dich nicht aus, Julie.” Gedankenleser.
“Ja, ich weiß. Und verrückt. Vielleicht werde ich ja langsam verrückt, wer weiß das schon.” Er nahm mich in den Arm. Endlich. Ich verbarg mein Gesicht an seiner Brust. Diese Bestätigung tat so gut und mir wurde schlagartig klar, dass mir soetwas schon lange gefehlt hatte.
Dann schaute ich auf und registrierte über Vince’ Schulter hinweg eine Bewegung. Ich blinzelte und erkannte Haden. Schnell duckte ich mich.
“Was tust du da?” Leicht amüsiert schaute Vince auf mich herab.
“Ach nichts. Ich wollte nur gucken wie es hier unten so aussieht.” Er schmunzelte und ich bemerkte zum ersten Mal, dass er Grübchen hatte. Fasziniert richtete ich mich auf und starrte ihn an.
“Wie süß”, murmelte ich.
“Was denn?” Dezente Verwirrtheit verdrängte seine Grübchen.
“Du hast Grübchen, wenn du lächelst.” Er lachte.
“DU bist süß, Julie.”
“Ich bin froh, dass wir befreundet sind. So jemanden wie dich habe ich immer gebraucht. Also, klar, ich habe Tyler und Ashley und die anderen, aber …”
“Du hast mir auch gefehlt. Wie eine alte Freundin. Das ist so …”
“… faszinierend. Das habe ich auch schon gedacht, als ich dich zum ersten Mal getroffen habe. Es fühlte sich immer so an als wären wir schon sehr lange befreundet. Mit dir kann ich einfach so gut und frei reden. Das tut gut.”
“Geht mir genauso.”
Wir schwiegen eine Weile und ich schaute erneut verstohlen über seine Schulter, aber Haden war verschwunden.

“Was auch immer gestern Nacht alles passiert ist. Ich bin immer für dich da. Das weißt du, oder?”
“Ja. Danke.”
“Ok, Julie. Was hast du gestern abend gemacht. Alles. Mit allen Einzelheiten.” Maggie fuchtelte mit dem Finger vor meiner Nase herum, während sie mit den Fingern der anderen Hand nervös auf den Tisch trommelte.
Maggie, Ty, Luke, Ash und ich saßen in einer der 40 Sitzecken von Bertley’s, dem größten dreistöckigen Cafe, das ich je gesehen hatte. Ich hatte meinen Cappuccino noch nicht angerührt, auch das Frühstück hatte ich heute ausgelassen. Mir war schlecht! Und zudem fragte ich mich, was mit Haden los war. Es war ja seine Sache, wenn er mich jetzt nicht mehr mochte, obwohl oder gerade, weil er mich liebte. Aber es war echt scheiße von ihm, dass er einfach nicht mit uns Kaffee trinken wollte. Ich konnte ja irgendwo verstehen, dass er mit mir gerade nichts zu tun haben wollte, aber die anderen so hängen zu lassen, war schon irgendwie eine Sauerei. Er war doch auch mit ihnen befreundet.
Bei ihnen war er zwar als schwul bekannt, aber das war doch nicht fair. Nur weil er keine Lust hatte zu schauspielern oder so … Er hatte Tyler abgesagt, weil er eine Verabredung hatte. Sie war ganz schön mitgenommen gewesen. Denn auch sie mochte Haden und seine lustige Art. Auch, wenn sie falsch war. Aber das wussten sie ja alle nicht. Und so blieb Haden’s Platz heute leer und ich zwang mich nicht allzu oft in einer Minute an ihn zu denken und mich zu fragen wer oder was seine Verabredung war. Mein Leben war eine dreckige Dschungel-Toilette und ging den Bach runter.
“Also. Ich …” Wo sollte ich anfangen? Sie durften auf keinen Fall erfahren, dass ich bei Haden war und, dass er mich abserviert hatte wie eine verschimmelte Kartoffel. Denn sonst wäre ja klar, dass er nicht schwul ist und ich wäre nicht die einzige die auf ihn stehen würde. Abgesehen davon würden sie mich in die Klapse schicken. Haden – nicht schwul? Waaas? Und den Weihnachtsmann soll es auch nicht geben??? – Die weißen Männer kommen gleich, Julie.
Ash nickte mir zu. Sie wusste alles. Ich wünschte der Tisch wäre leer gefegt gewesen und nur Ash und ich würden hier sitzen. Ich hätte ihr alles erzählen können. So ein Bullshit! Dabei sollte es Ty sein, die mich jetzt tröstet. Die Schuldgefühle plagten mich immer mehr. Sie schienen mich ersticken zu wollen.
“Ich bin nach Hause gegangen. Spät abends. Also vorher hatte ich mich ja mit Ash getroffen …” Sie smilte kurz und kaum merklich auf. Aber niemand bemerkte es.
“… und dann hatte ich registriert, dass ich meinen Schlüssel vergessen hatte.” Ich ließ die jämmerliche Passage aus, in der ich wie ein Penner im Flur gehockt und geheult hatte.
“Und dann bin ich in die Kneipe gegangen und hab Wod … ein paar Getränke getrunken. Naja und dann war ich total zu. Kein Plan.” Auch die Tatsache, dass ich rausgeworfen wurde erschien mir als ziemlich uncool und furchtbar unwichtig. Nicht erwähnenswert!
“Das ist ja …” begann Maggie.
“… erstaunlich wenig, was du noch weißt.” Luke beäugte mich misstrauisch, als wollte er mich mit seinem Röntgenblick einmal durchchecken. Doch ich lächelte brav und unschuldig, wie ein makelloser Apfel.
“… interessant, wollte ich sagen.” schloss Maggie und warf Luke einen strafenden Blick über ihre Hornbrille hinweg zu.
“Leute, ihr seht doch, dass sie nicht aus dem Nähkästchen plaudern will. Außerdem hat sie ihre kuriose Amy-Winehouse-Schlagzeilen-Phase auch schon lange hinter sich gelassen. Sie ist brav wie ein Engel. Seht ihr nicht den Heiligenschein?” Wir alle starrten Ash an.
“Ok ok. Ich hab übertrieben. Aber jetzt mal ohne Witz. Wir sollten sie ein bisschen in Ruhe lassen und den herrlichen Tag genießen.” Sie lachte ihr glockenhelles Lachen. Unsere Köpfe drehten sich synchron zum Fenster und unsere Augen verfolgten die trägen Regentropfen an der Scheibe. Ja wirklich ein herrlicher Tag.
“Guuuut.” murmelte Ty und zog dieses einsilbige Wort dabei so dermaßen in die Länge, dass ich mich fragen musste, ob es wirklich nur aus einer Silbe bestand.
“Was machen wir heute noch so? Es ist ein begonnener Samstag und mir ist langweilig. Wie seht ihr das, Leute?” fragte Ty in die Runde.
Ich fixierte meine Tasse. Ich wusste, was ich heute noch zu tun hatte. Ich würde zu Haden gehen. Schon wieder. Ich musste einfach. Er …
“Hi, Haden.” flötete Ash plötzlich und ich erschrak so heftig, dass ich fast meine Tasse vom Tisch stieß.
“Hey, Ash. Freunde.” Er nickte einmal in die Runde und fixierte mich dann mit seinen wundervollen Augen. Ich wich seinem Blick aus und schaute erneut aus dem Fenster. Wunderbarer Regen. So viel interessanter als dieser Haden, der sich übrigens ausgerechnet neben mich setzen musste.
“Und, Haden, was hast du für heute geplant?” fragte Maggie, als würde es um das Wetter gehen.
“Warst du nicht verabredet?” fragte Ty.
“Ich … es war eine kurze Verabredung. Äußerst schön, aber kurz.”
Ash warf mir einen mitleidigen Blick zu. Aber noch schaffte ich es jegliche Gefühle zu unterdrücken.
“Aaah. Ein Neuer?” fragte Maggie und ich spürte wie mir die Tränen in die Augen stiegen.
“Ach. Ein bisschen Abwechslung. Schwul sein, heißt ja nicht das Leben verlernen. Und vorallem nicht das Lieben.” Lügner. Elender Lügner. Und ich hatte es vorher gesehen, dass er sie belügen und verletzen würde. So ein Arschloch. Feiges, dreistes Arschloch!
Er rückte näher und ich wunderte mich, dass es niemand bemerkte. Aber Ash war aufeinmal in eine Diskussion über mich und mein Leben mit Luke und Ty vertieft. Luke behauptete ich sei durchgeknallt und hätte mein Leben nicht im Griff (wie konnte er nur so eine furchtbare Lüge über mich erzählen?), Ty verteidigte mich, ganz bewusst ihrer Pflichten als meine beste Freundin, und Ash sagte einfach nur, dass beide ja keine Ahnung hätten, was Luke und Ty sowohl wütend, als auch neugierig machte.
Maggie hatte ihr Strickzeug (!) herausgeholt und war ganz mit einem furchtbar kniffelig aussehenden Muster beschäftigt. Was hatten die bloß alle so plötzlich?
Haden starrte mich von der Seite an. “Was?” blaffte ich ihn an und wischte mir so unauffällig wie möglich eine Träne weg. Ich hasste es angestarrt zu werden und er, gerade er, hatte am wenigsten Recht mich anzustarren. Blödmann.
“Nichts. Ich habe mich nur gerade gefragt, wo dein siamesischer Zwilling, dieser reicher Vincent, hin ist. Du bist naiv und blauäugig. Du kannst nicht einfach deinen besten Freund austauschen.” WAS? Ich? Naiv? Hatte der jetzt total den Verstand verloren? Er war doch derjenige … Ich schnappte nach Luft.
“Ich? NAIV? Du hast sie ja nicht mehr alle!” zischte ich. “Oder bin ich etwa diejenige die so tut als wäre sie schwul und denkt ‘Wenn ich ihr die Wahrheit sage, wird sie mir bestimmt sofort um den Hals fallen und eine große glückliche Familie mit mir Gründen’. Hallo? Wo lebst du denn bitte? Und, ja! Zufällig lassen sich Freunde sehr gut austauschen, wenn sie einen wie einen Fernseher behandeln, nach dem Motto ‘heute Liebe, morgen Freundschaft, gucken wir mal was läuft’. Du bist so bescheuert, Haden!”
“Ihr seid nicht befreundet, Julie. Du willst mich ja nur eifersüchtig mit ihm machen. Du willst nur, dass ich mich entschuldige und alles gut wird. Happy End.” Er äffte flüsternd meine Stimme in viel zu hoher Tonlage nach. Scheißkerl!
“Und du? Wenn, dann bist DU doch hier der große Schauspieler! Glaubst du denn echt, dass du ihnen noch lange was vormachen kannst, du Schwindler?”, flüsterte ich so energisch wie möglich und funkelte ihn böse an.
“Ich bin betrübt, Liebste. Ich weiß nicht wovon du redest.”
Ich wollte gerade widersprechen, da spürte ich dieses Kribbeln im Bauch. Ich versuchte krampfhaft es zu unterdrücken, doch es wurde nur schlimmer.
Er ist ein arrogantes Arschloch, Körper. Musst du dich denn immer in die falschen verlieben? Er ist fies und beleidigt dich! Doch trotz allem verspürte ich in diesem Augenblick den unglaublichen Drang Haden küssen zu wollen. Aber. Er. War. Ein. A.r.s.c.h.l.o.c.h!!!!! Blöde Kacke.
“Siehst du. Du bist hier die große Schauspielerin. Naiv wie eh und je, glaubst du, deine Gefühle für mich unterdrücken zu können. Aber es ist nicht so wie du denkst, Julie. Nichts ist, wie du denkst oder wie du es dir wünscht.”
“Wer unterdrückt denn hier seine Gefühle für wen? Wem ist denn die Freundschaft, die ich übrigens zwischen uns meilenweit nicht entdecken kann, wichtiger als eine Beziehung.”
“Mir nicht, Julie. Ich habe keinerlei Gefühle für dich.”
“Pah”, machte ich. Doch er blickte mich ernst an.
“Das war kein Witz.”
“Okay.” flüsterte ich und starrte den Boden an. Er hatte seine Meinung also wirklich geändert. Haden musste aus meinem Leben verschwinden.
“Gut. Wenigstens siehst du es ein. Vielleicht ist es besser so. Wenn wir etwas Abstand halten.”
Ich nickte.
“Und, Haden, sieht er gut aus?”, fragte plötzlich Luke.
“Unglaublich. Ich glaube ich bin schon ein bisschen verliebt.” Es war, als würde Haden persönlich mir in den Magen treten. Mit aller Gewalt!
“Wie alt ist er denn?”
“Etwas jünger als ich. Und so süß. Wir haben gestern die ganze Nacht zusammen verbracht.” Ich spürte wie mir die Tränen die Wangen hinunterliefen. Es war wirklich wahr. Er hatte keine Gefühle für mich. Er wollte nur mit mir befreundet sein und er hatte jemanden Neues. Jemanden Besseres.
“Julie, was …” Ich missachtete Ty’s Frage und rannte hinaus in den Regen. Ich musste hier weg. Ich rannte die menschenleeren Straßen entlang und untergrub das Bedürfnis mich einfach auf den Boden fallen zu lassen. Ich wollte sterben. Es tat so weh. Wie konnte er nur?
Ich lief in eine Gasse. Lehnte mich gegen eine Wand und sank auf den nassen Boden. Den Kopf im Schoß weinte ich so heftig, dass der Boden unter mir zu beben schien und die Gasse sich um mich herum drehte.
Da spürte ich einen sanften gleichmäßigen Atem an meiner Wange. Ich wagte nicht aufzublicken.
“Julie, alles wird gut.”
“Du kannst mich nicht verletzen. Niemals! Deine Gefühle für mich sind mir scheißegal. Es gibt genug Männer auf der Welt, die mich besser behandeln würden als du und es mit Freude tun würden.” schrie ich ohne aufzublicken.
“Ich weiß, dass ich dir gerade sehr wehgetan habe und es tut mir leid.” Seine sanften Worte streichelten mein Haar, das sich an sein Gesicht schmiegte
“Lass mich in Ruhe, Haden! Du kannst mir nicht helfen. Nicht mehr.”
Ich schluchtzte heftig auf, als er mich zärtlich in die Arme nahm. “Julie, bitte. Ich habe das nur gesagt, damit es dir leichter fällt. Damit wir Freund bleiben können und uns nichts dazwischen kommt. Damit du mich nicht lieben kannst.” Er schien mich anzuflehen.
Ich verbarg mein Gesicht in dem weichen flauschigen Stoff seines Pullovers an seine harte Brust. Er legte die Arme um mich und hielt mich ganz fest. Dann schaute ich auf. Wieso sagte er soetwas? Wieso tat er das? Das machte alles doch nur noch schlimmer. Konnten wir es nicht einfach versuchen? Wenn es doch nicht klappte konnten wir doch immer noch Freunde bleiben. Es gab genug Menschen auf der Welt, die das schafften. Warum nicht auch wir?
“Julie.” sagte er, als wäre es ein Ast, an dem er sich im reißenden Fluss klammerte, um nicht zu ertrinken.
Ich atmete schwer, als ich ihn etwas wegdrückte. Damit tat er mir doch nur noch mehr weh. Damit machte er es doch nur noch schlimmer. “Hör bitte auf, Haden. Ich kann das nicht.”
Er stand auf und lehnte sich gegen die Wand. Regentropfen rannen sein perfektes Gesicht entlang und tropften von seinem Kinn. Er starrte gradeaus. Ich ließ den Kopf in die Hände sinken.
“Haden. Warum tust du das? Hast du wirklich schon entschieden? Ist es das was du willst?” murmelte ich in meine Handflächen.
Er schwieg und starrte weiter an die Wand. Wir waren inzwischen beide durchnässt. Mir machte es nichts aus.
“Du musst dich einfach richtig entscheiden! Wir könnten es doch probieren. Es ist doch nicht so schwer.” Ich suchte verzweifelt seinen Blick, doch er war wie eingefroren.
“Haden? Spielst du nun weiter deine Geschichte oder liebst du mich? Ich kann nicht mehr, Haden! Das geht so nicht.”
Er stieß sich von der Wand ab und verließ die Gasse mit schnellen Schritten.

7. Kapitel

Das Telefon klingelte und wie immer, wenn es das tat, rechnete ich mit dem Schlimmsten.
“Ja?”
“Julie, Schatz. Es tut uns so unendlich leid.” Es war meine Mum und sie klang ziemlich fertig.
“Mum. Es ist schon ok. Es war nicht …”
“Doch. Ich bin wirklich … es war falsch von uns. Wir haben deinen Freund sehr schlecht behandelt. Wir kennen ihn ja gar nicht. Vielleicht ist er wirklich ein ganz feiner Kerl. Und … es tut mir so leid, Julie.”
“Beruhige dich. Er ist gar nicht so …” Was sollte ich sagen? Wenn ich ihr ezählte, dass er doch nicht schwul war, würde sie warscheinlich einen Herzinfakt erleiden. Oder einen Schlaganfall. Oder sie würde in Ohnmacht fallen und sich übergeben und ich war viel zu weit entfernt, um ihr mit meinem imensen Wissen über die stabile Seitenlage helfen zu können. Oh mein Gott.
“… er ist wirklich in Ordnung, aber ihr seid es auch. Ich liebe dich, Mum.” sagte ich schließlich.
“Ich dich doch auch, mein Schatz. Ich dich auch.” Ich hörte sie am anderen Ende der Leitung schluchzen.
“Mum? Bitte. Bitte nicht weinen.” Diese Worte kamen mir bekannt vor. Ich war mir sicher, sie schon einmal gehört zu haben. Vor kurzem. Aber mir fiel einfach nicht ein wo und von wem.
“Ich weine doch gar nicht. Ich bin ja nur glücklich, dass du nicht mehr böse auf uns bist. Deinem Vater tut es übrigens auch ganz furchtbar leid.”
“Jaja. Schon in Ordnung, Mum. Wie gehts dir so?” Ich räusperte mich, um möglichst unauffällig vom Thema abzulenken.
“Mir geht es doch gut, mein Schatz. Aber ich höre doch, dass bei dir nicht alles in Ordnung ist.”
“Ach was. So ein Quatsch. Bei mir ist alles …”
“Julie! Hör auf deine Mutter zu verarschen! Ich weiß besser als jeder andere, wann etwas nicht stimmt mit dir!” Manchmal waren Mütter echt anstrengend.
“Ok, du hast Recht. Aber es ist so … kompliziert.”
“Ich bin doch immer eine gute Zuhörerin für dich gewesen. Du schaffst das, mein Schatz.”
Ich holte tief Luft.
“Aber nicht sauer sein, bitte.” Ich machte eine Pause, doch es herrschte Stille am anderen Ende der Leitung, also fuhr ich fort:
“Also … ich liebe Jonas schon länger nicht mehr, aber ich bin immer noch mit ihm zusammen und er denkt, ich liebe ihn noch so wie früher. Ich habe Ty belogen. Ich habe Ash etwas erzählt und es Ty vorenthalten. Ich habe etwas ganz Schlimmes gemacht und weiß nicht was. Ich bin in Haden verliebt. Haden ist nicht schwul. Haden liebt mich. Haden weiß nicht, ob er mich liebt. Haden hat was mit einem anderen, behauptet er. Aber, weil er ja nicht schwul ist, muss er was mit einer FRAU haben. Haden liebt mich doch nicht. Haden ist so unglaublich süß zu mir. Aber keiner außer mir weiß, dass er schwul ist. Und er kann sich nicht entscheiden. Entweder sagt er allen, dass er nicht schwul ist und liebt mich. Oder er bleibt, was er ist. Und all diese Scheiße macht mich so unglaublich wuschig, dass ich mich erhängen könnte und ich würde es sogar überleben, weil ich zu gefüllt bin mit all diesen blöden Gedanken, die mich auch noch davon abhalten würden, zu sterben.”
“Hui.” sagte meine Mutter nur und ich hörte sie gleichmäßig, aber doch ziemlich schnell, atmen.
“Ok.” sagte sie dann. “Du musst Haden Zeit lassen. Du darfst nicht zu aufdringlich werden.” Ihr Ton ließ keine Widerworte zu. “Du musst mit Jonas Schluss machen. Du musst Ty die Warheit sagen. Und du musst dich ein bisschen erholen, Süße. Geh in die Disko oder so. Aber unternimm etwas. Lass dein wundervolles junges Leben nicht in deiner Bude verotten, bis man irgendwann nur noch deine verkrüppelten und verheulten Überreste findet. Das Gefühl mit dem du dich minütlich überschüttest nennt man Selbstmitleid. Das muss aufhören!” Ich nickte zustimmend, obwohl sie es nicht sehen konnte.
“Danke, Mum.”
“Ich hab dich sehr doll lieb. Und ich bin stolz auf dich. Und … ich muss jetzt auflegen.” Damit endete unsere hoffnungslose Melancholie-Stunde für Anfänger ruckartig. Also verabschiedete ich mich und legte auf.
To-do-list (neu):
– Haden in Ruhe lassen
– mit Jonas Schluss machen
– Party machen
Den Punkt “Ty die Warheit sagen” ließ ich aus, da ich wusste, dass sie mich umbringen würde. Außerdem wollte ich ersteinmal abwarten, wie sich Haden überhaupt entscheiden würde, damit ich mich nicht total blamierte. Denn, wenn er schwul bleiben würde, würde ich mich selbst in die Klapse einweisen lassen.
Ich griff erneut zum Telefon und wählte betont langsam Jonas’ Nummer. Ich wunderte mich, dass ich sie immer noch auswendig kannte und zwang mich auf die Taste mit dem süßen kleinen grünen Hörer zu tippen.
“Jonas Smith.” meldete sich die wohlvertraute Stimme und mir wurde flau im Magen. Was war ich für eine ätzende Schlampe, dass ich am Telefon Schluss machte. Scheiße!
“Jonas? Ich bin es. Julie.”
“Julie!” er schrie fast vor Begeisterung und ich bemühte mich den Knoten in meinem Hals runterzuwürgen.
“Julie, ich hab schon gedacht du … du hast dich solange nicht mehr gemeldet, dass ich dachte du liebst mich nicht mehr.”
Komm, Julie! Stirb doch endlich!
“Ähm, Jonas. Ich muss mit dir reden.”
“Ich muss auch mit dir reden. Ich muss dir etwas sagen.”
Er ließ eine unheilvolle Pause und ich wackelte unruhig auf dem Küchenstuhl hin und her.
“Ja?” fragte ich etwas verunsichert. Ich hoffte inständig, dass er Schluss machte, wusste aber zugleich, dass es warscheinlicher war, in diesem Moment von Außerirdischen besucht zu werden, die meine Kopfhaut abschälten und mein Gehirn mit Löffeln aßen.
“Also. Ich … ich ziehe nach Gainessville.” Ich fiel vom Stuhl und schleuderte dabei das Telefon auf den Boden, damit es endlich schwieg.
“Julie? Ist alles in Ordnung bei dir? Also ich hatte gedacht … damit wir endlich zusammen sind. Und dann könnten wir vielleicht auch zusammenziehen und ich wäre immer bei dir …” kam es aus dem Hörer, der jetzt drei Meter von mir entfernt auf dem Boden lag und sich ganz unbemerkt wieder an mich heranschleichen wollte.
Da merkte ich, wie sich jemand hinter mir räusperte und drehte mich um, was warscheinlich so aussah, als würde sich ein gestrandeter Wal auf die andere Seite wälzen.
“Ich … ich muss Schluss machen, Jonas. Bitte sei nicht sauer. Ähm … und überdenk deinen Entschluss lieber noch ein paar mal. Ich ruf später nochmal an.” stotterte ich hastig in Richtung Hörer und drückte dann schnell auf die “Auflegen-Taste”.
Inzwischen war Haden näher gekommen und hatte sich neben mich auf den Boden gesetzt.
“Wo ist Tyler?”
“Shoppen mit Ash.” Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden, obwohl ich wusste, dass ich ziemlich bescheuert aussah, wenn ich Leute so anstarrte.
Ich hatte mich nämlich mal testweise 10 Minuten lang im Spiegel angestarrt und festgestellt wie dumm ich dabei aussah. Aber das war ein anderes Thema.
“Aha.” murmelte Haden und starrte zurück. Aber mit dem Unterschied, dass er mich mit seinem Starren zum Organsmus bringen könnte.
“Wie bist du hier rein gekommen?”
“Ich hab doch einen Schlüssel schon vergessen?”
“Ah.”
“Tut mir leid, wenn ich störe, Julie. Ich wollte nur gucken wie es dir geht. Und mich für gestern entschuldigen. Ich weiß, dass ich dich in der Gasse ziemlich überrumpelt habe. Tschuldigung.” Jetzt schaute er weg und ich merkte, dass es ihm wirklich leid tat. “Haden. Ich war doch …”
“Sag es lieber nicht, Julie. Du würdest es nur bereuen.”
Ich verstand zwar nicht was er meinte, ließ ihn aber weiterreden.
“Ich weiß, dass ich mich entscheiden muss. Das ist mir klar. Und ich weiß, dass du jetzt sicher auch Abstand von mir halten willst, bis ich mich entschieden habe. Das ist nicht leicht für mich. Das musst du jetzt nicht verstehen und ich werde auch nicht versuchen es dir zu erklären. Ich wollte nur gucken, ob es dir gut geht. Und … Also, das mit meinen Eltern und alles das stimmt. Ich hab dich nie anlügen wollen. Aber seit ich dich kennengelernt habe … so dumm das klingt. Ich lasse dich jetzt auch wieder allein. Ich weiß, dass du andere Probleme hast, als mich. Im Moment bin ich Störfaktor Nummer eins. Das ist mir klar. Vorallem, was deinen Freund betrifft. Wenn ihr zusammenzieht, dann … ich würde nicht im Weg stehen wollen. Wirklich.” Er stand auf und ging in Richtung Haustür, bevor ich noch widersprechen konnte.
“Ich wollte nur, dass du das weißt.” flüsterte er kaum hörbar. Dann ging er. Schon wieder. Und er ließ eine furchtbar verwirrte Julie zurück, die nicht einmal mehr erahnen konnte, wie sie überhaupt hieß.

Ich hatte lange über Hadens Worte nachgedacht. Dann kam Ty nach Hause und lenkte mich etwas ab.
“Was hast du so gemacht?”
“Telefoniert. Mit meiner Mum. Und … Haden war da.” Ash, die noch auf einen Kaffee bei uns vorbei gekommen war, verschluckte sich und begann zu husten.
“Worüber habt ihr so geredet?”
“Dies und das und …” Wait! Wie war er hereingekommen? Was hatte er gesagt? Er hatte einen Schlüssel? Er hatte einen SCHLÜSSEL???
“Scheiße.” kreischte ich und sprang auf.
“Was ist los?” fragten Ty und Ash gleichzeitig.
“Er hat einen Schlüssel!”
“Ja, den haben wir ihm doch gegeben, als … oh.” Auch Ty verstand endlich. So war ich hier herein gekommen. Haden hatte mich in mein Bett verfrachtet als ich betrunken war. Er hatte gar nicht die ganze Nacht mit irgendeinem Typen verbracht, sondern mit MIR!
Ich wartete gar nicht lang und sprang auf. Der einzige, der mir sagen konnte, was in der Nacht passiert ist, war Haden.
Ich klopfte energisch gegen seine Wohnungstür. Dann bemerkte ich erst, dass er sie schon wieder einmal offen gelassen hatte.
“Haden? HADEN!” Ich rannte kreischend durch die Wohnung, stolperte und fiel hin. Etwas verwirrt starrte ich zu meinen schwarzen Louboutin-Pumps hinunter und erblickte den Auslöser meiner Fallsucht. Die nagelneuen knallgelben Stiefel von Prada.
Wütend stürmte ich in den letzten Raum, den ich noch nicht durchsucht hatte. Die Küche! Im Türrahmen blieb ich stehen und erstarrte. Haden saß am Küchentisch und hatte den Kopf in die Hände gestützt. Ihm gegenüber saß eine junge Frau mit braunen langen Locken, die lustig ihr zartes elfenhaftes Gesicht umspielten. Ihre Hände umklammerten Hadens und ihr Blick schlang sich geradezu um seinen Kopf. Schlampe! Was fiel ihm denn ein?
“Haden!” Das hatte nicht ich gesagt, dessen war ich mir sicher. Meine Stimme würde ich nämlich noch lange suchen können. Ich bekam kaum noch Luft und musste mich im Türrahmen festhalten.
Haden schaute entsetzt auf und erblickte zuerst mich, schaute dann jedoch an mir vorbei. Ich tat es ihm gleich und drehte mich um. Tyler und Ash standen hinter mir und ich konnte mich nicht entscheiden, wer von beiden wütender aussah.
Meine beste Freundin wollte sich gerade auf Haden stürzen, um ihn zur Rede zur stellen, als Ash sie packte und aus der Wohnung schob. Sie warf einen tödlichen Blick auf Haden und zischte in Richtung Ty, dass das meine und Hadens Angelegenheit sei. Ich hörte Tyler noch viele Fragen stellen, dann bekam ich nur noch mit wie die benachbarte Wohnungstür ins Schloss fiel.
“Haden. Das hätte ich nicht von dir erwartet. Du bist so ein Arschloch!” Endlich hatte ich meine Stimme wieder gefunden.
“Was …”
“Halt den Mund, Haden! Es war ein Fehler herzukommen. Aber den werde ich nie wieder begehen. Glaub mir. Du siehst mich zum letzten Mal!” Das war gelogen. Auf der Uni, konnten wir uns gar nicht aus dem Weg gehen. Darum würde ich mich aber später noch kümmern können.
Ich rannte hinaus. Ich war so geschockt. Und so unglaublich sauer auf Haden. Und ich wusste, dass ich mir das nicht bieten lassen konnte. Nicht von so einem wie Haden. Das hatte ich nicht verdient! Er gehörte mir (ok, ich musste zugeben, das klang ziemlich bescheuert).
Und, wenn er mir schon fünfmal sagen musste, dass er mich liebt, dann sollte er auch zunächst dazu stehen und nicht die nächstbeste Schlampe nehmen, wenn ich noch etwas Zeit brauche. Ich meine: es ist ja ok sich auszusprechen, aber das war mehr. Ein Blick sagte schließlich mehr als tausend Worte. Das würde lange dauern bis Haden sich da herausreden konnte.
Ich sprang die Treppe hinunter und nahm dabei fünf Stufen aufeinmal. Auf der Straße angelangt, trat ich genervt vor eine Mülltonne. Schon wieder einmal bekam ich Gesellschaft.
Stimme 1: Süüüüüüüße? DU brauchst doch gar keine Zeeeeeeeeeeeiiit. EEER sollte sich entscheeeeeeeiiiiden.
Stimme 2: Genau! DU hast IHM Zeit gegeben, nicht andersherum.
Stimme 3: Er ist ein Schwein.
Stimme 4: Aber so ein süßes Schwein.
Stimme 5: Ihr seid doch alle bloß hirnlose Einbildungen. Ihr lebt nur, um diesem furchtbar stark pubertierenden Mädchen im Körper einer 20-jährigen die Gedanken zu ordnen.
Stimme 3: Du doch auch, Blödmann.
Stimme 2: Leute? Keinen Streit. Wir müssen ihr helfen, wie der Blödmann schon sagte.
Stimme 5: Wer ist hier der Blödmann? Hä?
Stimme 6,7: Love me, love me. Saaay that you love me. Fool me, fool me …
Stimme 2: Leute? Ernst bleiben! Sofort!
Stimme 1: Kiiiiindchen. Du sollst doch Paaaaaaarty macheeeen. Wiiiie deine Muuutter schon gesaaagt hat.
Stimme 2: Gute, Idee. Leute! Party machen. Sofort.
Stimme 8,9: It’s raining man. Hallelujah. It’s raining man …
Stimme 10: Oh, ich bin also doch kein Einzefall.

Das “Yer-Bing” war nur ein paar Blocks weiter und eine der angesagtesten Diskotheken in ganz Gainessville. Nach nur 23 Minuten Anstehen, sprang ich endlich auf die Tanzfläche und ließ mich von den ohrenbetäubenden Beats fesseln. Also tanzte ich so ausgelassen wie noch nie und vergaß alles! Ich verspürte eine furchtbare Wut auf Haden. Keinen Schmerz. Wut! Unglaubliche schäumende Wut! Also ließ ich meiner Energie freien Lauf und tanzte einfach.
“Hey, Schnecke, tanzt aber ziemlich geil, muss ich sagen.”
Es war mir egal wie häßlich der Typ war oder wie dumm der Anmachspruch. Abgesehen davon war er gar nicht mal so häßlich. Aber darauf legte ich mich gar nicht erst fest. Es war mir egal, wie er aussah. Ich wollte Rache! Und dafür war dieser Typ genau der Richtige.
“Na, Süßer. Wenn du mir einen Drink ausgibst, könnte ich mir überlegen, heute Nacht noch ganz andere Sachen mit dir zu machen.” Ich grinste verführerisch. Es war ganz und gar nicht meine Art mich so furchtbar wertlos und nuttig zu präsentieren. Aber in diesem Fall hieß es nur: Rache ist süß! Und sie schmeckt furchtbar gut.
Ich unterdrückte den Drang ihm eine reinzuhauen, als er meine Titten mit seinem Blick für einen Organsmus zu missbrauchen versuchte. Pfui!
“Klar doch.” sagte er, bewegte sich in Richtung Bar und kam kurz darauf mit einem Drink wieder, der mir Hören und Sehen vergehen ließ. Aber ich ignorierte es.
Gegen vier Uhr zog ich “Thomas” nach draußen und zu meiner Wohnung. Diesmal hatte ich sogar einen Schlüssel, aber den würde ich jetzt noch nicht benötigen. Denn meine Rache musste Haden so wehtun, dass er es nie wieder vergessen würde. Außerdem sollte er bereuen, was er mir angetan hatte! In der Hölle schmoren sollte er!
Wir knutschten wild rum.
“Wollen wir nicht in deine Wohnung gehen, Zuckerpopo?” Ich hörte nicht nur wie besoffen Thomas war. Er stank auch furchtbar nach Alkohol und zu allem Unglück auch noch Zigaretten. Wenn ich etwas gar nicht ausstehen konnte, dann war es der Gestank von Zigaretten!
“Nein, noch nicht.” flüsterte ich ihm ins Ohr und stöhnte einmal laut. Maaaan! Wie taub war Haden denn? Oder hatte er uns schon längst gehört und saß heulend in seiner Wohnung?
Da ging Hadens Tür auch schon auf und er stand in seinen Boxershorts im Türrahmen und fixierte mich erschrocken und zugleich aufmerksam. Ich hatte das Gefühl, dass er irgendwie mehr wütend, als betroffen war und Thomas am liebsten von mir wegreißen wollte. Doch irgendetwas hielt ihn davon zurück loszuheulen oder sich wie ein tollwütiger Bär auf Thomas zu stürzen. Vielleicht so etwas wie Würde?
Thomas schien Haden nicht bemerkt zu haben. Ich war kurz vor meinem Ziel.
“Komm, Thomas. Gehen wir in meine Wohnung, da sind wir ungestört!” sagte ich und schaute Haden dabei tief in die Augen. Ein böses Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen, als Haden sich umdrehte und in seiner Wohnung verschwand.
Ich schubste Thomas von mir weg, klatschte ihm eine, schloss meine Wohnung auf und verschwand darin. Puh!

8. Kapitel:

“Fünf Uhr!” kreischte Ty, als ich mich zu ihr ins Bett schlich.
“Scheiße, Mann. Ja!” schrie ich zurück. Ich war sauer und, was ich jezt gar nicht gebrauchen konnte, war jemand, der mich auch noch anschrie.
“Tut mir leid.” sagte sie. “Ich hab mir nur solche Sorgen gemacht! Ich dachte du tust sonstwas, nachdem du das mit Haden gesehen hast.”
“Ich wusste schon, dass er nicht schwul ist.” gab ich zu und erwartete eine Standpauke über “Lügen ist eine Sünde”.
“Ash hat mir vorhin erzählt, dass du es schon wusstest, damit ich mir nicht so viele Sorgen mache.”
“Oh.”
“Ist schon ok.” murmelte sie und knipste das Licht an.
Dann begann sie zu schreien: “WAS ABER GAR NICHT OK IST, IST, WENN DU AUF JEMANDEN STEHST UND MIR, DEINER BESTEN FREUNDIN, NICHTS DAVON ERZÄHLST!” Sie holte tief Luft und knipste das Licht wieder aus.
“Ty, ich wollte es dir schon sagen. Aber ich wusste nicht, wie du damit umgehen würdest. Und irgendwie kam das alles so furchtbar plötzlich. Ich weiß doch, dass du meine beste Freundin bist und ich hoffe du weißt das auch. Und ich erzähle dir immer alles. Wirklich! Aber diesmal war das so anders. Er war … Ich war mir einfach nicht mehr sicher. Und dann dachte ich, wenn du es weißt, wird es Luke auch bald erfahren und dann Jonas oder so. Und, oh mein Gott, ich hab so ein schlechtes Gewissen gehabt.” sprudelte es aus mir heraus.
“Dumme Ausreden.” sagte sie und streichelte meinen Kopf.
“Tut mir leid.”
“Mir tut es leid, dass ich gar nichts gemerkt habe. Und ich hab mich viel viel viel zu wenig um dich gekümmert, Süße. Als du andauernd geheult hast, hätte ich schon etwas merken müssen. Aber ich hatte auch so viel um die Ohren. Denn immer, wenn du gedacht hast, ich würde mich nur amüsieren und hätte gar nichts zu tun, hab ich gepaukt wie eine blöde Streberin. Und das hat mich sowas von eingenommen. Aber als deine beste Freundin habe ich wirklich als Erste merken, wenn du verliebt bist. Ich hab mich wirklich viel zu wenig um die gekümmert, Süße. Mir tut es leid.”
Ich nahm sie in den Arm und erzählte ihr alles. Von Haden im Restaurant an meinem Geburtstag, über das Telefonat mit meiner Mum, bis hin zu Thomas und der Begegnung mit Haden auf dem Flur. Sie kommentierte die Geschichte kein einziges Mal und als ich geendet hatte drückte sie mich ganz fest und sagte: “Wie konntest du das alles nur für dich behalten und mir kein Sterbenswörtchen davon erzählen?”
“Das war schon schwer, aber …”
“Lüg nicht, mein Kind!” sagte sie mit gespieltem Ernst und kitzelte mich bis ich nicht einmal mehr “Piep” sagen konnte.
Es tat so gut zu reden und es war so wunderbar, eine Freundin wie Tyler zu haben.
Wir schliefen durch bis zum Nachmittag und registrierten dann beide beim Aufwachen, dass wir viel zu spät für die Uni dran waren.
“Was willst du jetzt tun?” fragte Ty beim Frühstück, das sie sich so schnell in den Mund stopfte, dass ich befürchtete sie könnte platzen.
“Ich weiß es nicht. Einerseits habe ich mich jetzt an ihm gerecht und wir siind quitt, aber andererseits kann ich ihm das doch nicht so einfach verzeihen.” Ich schlürfte meinen Kaffee und schaute aus dem Fenster.
“Schon, aber …” Ein lautes Hupen ließ und aufschrecken. Ich stürmte zum Fenster und sah Ashley in ihrem Cabrio. Sie blickte zu mir hinauf und winkte mit der rechten Hand heftig, während sie ihre andere Hand auf der Hupe ließ.
Ich hielt mir die Ohren zu und stöhnte, als ich Haden auf der Rückband erblickte.
“Komm. Gemeinsam sind wir stark!” Ty grinste.
“Alles ist gut, solange du durchhälst und es ihnen zeigst!” rief ich und lachte.

Ash lehnte sich zu mir rüber.
“Also, was hast du vor?” Sie deutete mit einem ihrer IMMER angespitzten Bleistifte auf Haden, der zwei Reihen unter uns der Vorlesung über “praktische Übungen am Barren” lauschte.
“Ich will ihm Zeit lassen. Ich glaube er braucht Zeit.” murmelte ich und wusste, dass er ganz bestimmt keine brauchte. Nicht nur Ash guckte mich an, als wäre ich nun total plemplem. Auch Ty hatte zum ersten Mal in dieser Vorlesung von ihren Notizen aufgeschaut, um mich kommentarlos mit ihren Blicken zu erwürgen.
“Wie lange willst du denn noch warten? Bis er impotent ist und nicht mehr fremdgehen kann?” Sie schüttelte ihren blonden Kopf und begann ihre ohnehin schon furchtbar spitzen Bleistifte einen nach dem anderen mit dem Anspitzer zu quälen. Ich fragte mich, wie sie es schaffte, dass die Spitzen nicht abbrachen.
“Entschuldige, wenn ich so dumm nachfrage, aber du liebst ihn doch noch, oder?” fragte sie.
Ich ließ meinen Kopf auf den Tisch fallen. Zu meinem Enttäuschen erzeugte ich damit ein sehr hohles Geräusch.
“Natürlich liebe ich ihn nicht!” Ich sah wieder auf und machte mir ein paar Notizen zu der Vorlesung auf mein jämmerlich gähnend leeres Blatt, um nicht mehr mit Ash über dieses Thema reden zu müssen.
“Natürlich. Also, da du deine furchtbar pubertären Frühlingsgefühle nicht unter Kontrolle hast und anscheinend auch kein bisschen weibliche Würde unter deinem Gucci-Mantel besitzt, musst du ihn nocheinmal wegen der Sache mit dem Hausschlüssel fragen, um eine Beziehung zwischen euch zu erzeugen.” Pubertäre Frühlingsgefühle? Keine weibliche Würde? Was …
“EINE BEZIHUNG?” Ich hatte meine Verwunderung ein wenig zu laut geäußert, sodass mich jetzt der ganze Kurs inklusive Mr Sherman, unserem Professor, und Haden (!) anstarrte und ich im Boden versinken wollte.
Als sich die Menge wieder umdrehte und Mr Sherman zu reden begann, erwiderte Ty:
“Ja, Dummerchen!”
“Wie willst du sonst herausbekommen, was in der Nacht passiert ist? Und wie willst du sonst erfahren, ob er sich entschuldigen möchte? Und wie …” Ich unterbrach Tyler und versuchte gar nicht erst mich zu fragen, warum sie sich plötzlich an unserem Gespräch beteiligte.
“Er wird sich nicht entschudligen wollen. Aber, selbst, wenn er es wollte, sollte er dann nicht zu MIR kommen?”
“Angekrochen kommen, meinst du wohl? Komm mal von deinem hohen Ross wieder auf diesem Planeten zurück, Julie! Du kannst nicht immer nur abwarten. Er hat dir seine Liebe gestanden. Auch wenn er ein Arsch ist, der nächste Schritt liegt eindeutig bei dir, Süße. Abweisen oder Lieben!” erklärte Ash.
“Abweisen?” fragte Ty entsetzt.
“Lieben?” fragte ich noch entsetzter.
“Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten.” schloss Ash ihren Vortrag und mir fehlte nur der Satz “Sein oder nichtsein! Das ist hier die Frage” damit er perfekt wurde.
“Ähm, wenn ich mich einmischen dürfte?” Ash, Ty und ich wandten unsere Köpfe gleichzeitig nach links und starrten Luke mit offenen Mündern an.
“Also, mal ganz davon abgesehen, dass ich ein Junge bin und gar nicht an dieser furchtbaren Unterhaltung teilnehmen sollte, weil mir das mein männlicher Stolz verbietet … solltest du nicht zu aller erst mit Jonas Schluss machen, bevor du Haden den Kopf wuschig machst?” Zum ersten Mal seit ich Luke kennengelernt hatte, sprach er wahrhaftig die bittere Wahrheit aus. Das sollte ich wirklich. Und es gab nichts, was Vorrang hatte.
“Gut, dann hätten wir das also geklärt.” murmelte Ash und rückte ihre Bleistifte in eine Reihe, sodass die exakt gleichlangen Spitzen und alle Enden direkt nebeneinander lagen. Keiner tanzte aus der Reihe.
Ja, das hätten wir geklärt, dachte ich. Und doch wusste ich immer noch nicht, was ich tun sollte. Klar, ich musste mit Jonas Schluss machen, aber wie? Ich konnte ihn nicht einfach anrufen und ihm sagen, dass es aus war. Auch, wenn ich schon kurz davor gewesen war. Aber das war sogar für meine Verhältnisse schon zu unmoralisch. Und meine Verhältnisse ließen sogar zu, dass ich einem Obdachlosen Geld aus der Kaffeedose klaute. Aber das ist eine andere Geschichte.
Sollte ich nach Pensacola fahren und es ihm face-to-face sagen? Das konnte ich noch weniger. Das wäre eine Katastrophe. Er wäre so glücklich, mich zu sehen und dann sag ich es ihm. Nein, entschied ich. Das konnte ich auch nicht. Außerdem würde ich dann ganze 6 Stunden im Auto sitzen müssen. Allein für die HINFAHRT! Und das nur, um diesem Blödmann zu sagen, dass es aus war und dann sein Geheule mit anhören zu müssen. Ätzend!
Ok. Ein anderer Plan musste her. Ich hatte DIE Idee! Ein Brief! Keine Mail oder SMS. Ich würde ihm einen richtigen Brief schreiben. So einen mit Briefumschlag und Briefmarke und Absender und Anschrift und von Hand geschrieben. So richtig schön altmodisch. Da wird er sich bestimmt total freuen … JULIE! Du machst in diesem Brief mit ihm Schluss. Er wird sich nicht freuen. Auch nicht ein bisschen. Auch kein ganz ganz kleines bisschen. Er wird HEULEN!
Gut. Dann wird er eben heulen. Aber ich würde ihm trotzdem einen Brief schreiben.

Ich setzte mich an den Küchentisch und starrte das leere Din-A4-Blatt vor mir an. Dann wanderte mein Blick zu dem Füller, den ich mir gestern extra für diese Aufgabe gekauft hatte. Ich fixierte ihn solange, bis ich mir einbildete er würde sich erheben und den Brief von selber schreiben. Aber er blieb gelangweilt an seinem Platz liegen und rührte sich keinen Zentimeter. Ich war inzwischen auch von mir gelangweilt und hatte keine Lust mehr einen Brief an Jonas zu schreiben. Also griff ich zum Telefon und wählte seine Nummer. Ich zählte sechundfünfzig mal das Tut-Geräusch mit und legte dann entnervt auf. Blöder Jonas! Sollte er doch selbst mit sich Schluss machen.
ICH würde mir die Mühen jetzt nicht mehr machen!
Da kam Tyler angeschlurft. Sie rieb sich schlaftrunken die Augen und gähnte laut. Anschließend streckte sie sich und wanderte in Richtung Kühlschrank.
“Was machst du denn um drei Uhr nachts außerhalb unseres Schlafzimmers?” fragte sie und trank aus der Milchpackung. Ich hatte ihr schon tausendmal gesagt, dass es dafür auch Gläser gab, aber sie blieb weiterhin hartnäckig und dickköpfig, wie sie war, bei der Milchpackung.
“Ich wollte einen Brief an Jonas schreiben. Aber mir fällt nichts ein.” gab ich gähnend zu.
“Komm, Schlafmütze. Damit kannst du dich morgen noch quälen. Obwohl …” Sie machte eine Pause und ihr Blick wanderte zweifelnd von dem geradezu vor Frische glänzenden Füller zu dem leeren Blatt Papier und wieder zurück. “… obwohl du das mit dem Brief schreiben lassen solltest. Wirklich, Süße. Dazu fehlt dir eindeutig das nötige Talent.” Ich stöhnte und stand auf. Sie hatte recht. Also gingen wir Arm in Arm zurück ins Bett.

9. Kapitel

Haden war ich so gut es ging (und es ging nicht gut!) aus dem Weg gegangen. Aber irgendwie tat es schon ein bisschen weh, dass er sich nicht, wie geplant, entschuldigte und alles erklärte. Er ging seinen Tätigkeiten nach und ich konnte da oder Luft sein und es interessierte ihn nicht.
Also beschloss ich Haden Haden bleiben zu lassen und mich zuerst um Jonas, meinen Freund (!), zu kümmern. Ach, was waren das noch für gute alte Zeiten, als es sowas wie Schluss machen noch nicht gab. Mh. Ich glaube die Zeiten haben nie existiert. Denn selbst Adam musste doch IRGEDNETWAS zu seiner Geliebten gesagt haben, damit sie Schluss machte. Oder war da nicht dieser Baum gewesen? Oder diese Schlange? Scheiße, ich hätte doch wenigstens einmal im Religionsunterricht aufpassen sollen!
“Ty?”
Sie hob ihren Bleistift hoch, um mich zum Schweigen zu bringen und starrte dabei weiter auf ihren fünfunddreißig-seitigen Text über die Götter im Islam und ihre Bedeutung. Ach ne. Da gab es ja nur einen Gott. Dann war das wohl ein anderer fünfunddreißig-seitiger Text. Mh.
“Tyhyyy!”
“WAS?” Sie warf genervt ihren Stift hin.
“Was wäre denn die beste Möglichkeit, um mit ihm Schluss zu machen?”
“Hä?” Sie runzelte die Stirn und fuhr sich durch die Haare. Das war ihre typische Reaktion auf Fragen, die sie vollends aus dem Konzept brachten.
“Ich bin zu schlecht, um einen Brief zu schreiben, zu feige, um anzurufen und zu faul, um bei ihm vorbeizufahren. Verdammt!” jaulte ich.
“Tja. Da hast du wohl mehr ein Problem mit dir selbst, als mit deinem Freund.” Sie lachte über ihren eigenen Witz und wartete auf meine Reaktion. Doch die blieb aus. Mir war das Thema zu ernst.
“Ich kann das jetzt nicht mehr vor mir herschieben, Ty. Ich MUSS mit ihm Schluss machen. Ich weiß noch nicht einmal mehr welche Augenfarbe er hat. Und das ist noch nicht das Schlimmste. Es interessiert mich auch nicht!” Ich warf die Hände in die Luft und schaute an die Decke.
“Okay.” Sie folgte meinem Blick zur Decke und dachte nach. “Lade ihn einfach ein.”
“Bist du bescheuert? Ich kann ihn doch nicht zu mir einladen, um mit ihm Schluss zu machen. Er wird auf der Rückfahrt einen Unfall bauen oder sich von einer Brücke stürzen.”
“Nein. Lade ihn ein und fang an dich mit ihm zu streiten. Wegen irgendeiner banalen Sache. Dann machst du Schluss. Ganz einfach.” Sie grinste.
“Ganz einfach”, äffte ich sie nach. “Als ob DIR das ganz einfach fallen würde.”
“Mir doch nicht. Aber dir!” Sie zeigte mit dem Finger auf mich und ich fühlte mich hintergangen und beleidigt.
Ich brummelte unmissverständlich ein Schimpfwort aus meinem großzügigen Repertoire heraus und machte mich dann auf den Weg zum Telefon.

“Du willst wirklich, dass ich zu dir komme?” fragte er und ich konnte ihm die blöde Nachfrage beim besten Willen nicht verübeln.
“Jaha.” knirschte ich zwischen den Zähnen hervor.
“Oh, cool. Ich freue mich, mein Schatz. Ich hab sogar was für dich.” Oh nein. Kein Geschenk!
“Du, ich … ähm … ich möchte kein Geschenk. Weil … weil mein Geburtstag ja schon länger vorbei ist und … das bringt Unglück. Wirklich!” Oh mein Gott! Der Preis für die erbärmlichste Ausrede des Jahres geht an … “Trommelwirbel” … Julie!
“Äh … ok”, murmelte er etwas enttäuscht. “Dann komme ich morgen. Ich bin so gegen sieben Uhr da. Wenn dir das recht ist?”
“Ja klar.” sagte ich und wollte fröhlich klingen, aber es hörte sich an als würde es eine 90-Jährige mit Darmverschluss sagen.
“Bis dann, Julie. Ich leg mal auf.” Ich nickte und tat es ihm gleich. Während ich das Telefon in meiner Hand anglotzte, bemerkte ich, dass Ty in der Tür stand und mich beobachtete. Sie kam und legte einen Arm um mich.
“Süße. Jetzt wird alles viel besser. Vertrau mir. Und Haden”, fügte sie grinsend hinzu “wird bald deiner sein.”
“Wenn er mich überhaupt will.” Ich musste an die scheiß-hübsche Frau an seinem Küchentisch denken. Wer war sie gewesen?
Ty riss mich aus meinen Gedanken: “Wann kommt Jonas denn? Dann backe ich euch einen Kuchen mit gaaaaanz vielen rosa Herzchen darauf.”
“Das wäre ja sooo lieb von dir, Herzchen.” sagte ich und kniff sie fest in ihre Wangen, was schwerer war, als es sich anhört, da ihre Wangenknochen schon total rausguckten und ich manchmal dachte, dass sie gar kein Fleisch unter ihrer Haut hatte.
“Julie? Könntest du mal wieder loslassen?” Ich ließ schnell ihre Wangen los und machte mir klar, dass meine beste Freundin wirklich Fleisch an ihren Wangen haben musste. Also Muskeln. Ihhh. Stimmt ja. Muskeln waren ja aus Fleisch. Oder andersherum.
Ich nahm mir vor, kein Fleisch mehr zu essen. Ist ja widerlich, wenn man auf Muskeln rumkaut.
“Julie? Wo schwebst du nur die ganze Zeit mit deinen Gedanken hin? Arambolien?”
“Nee. Tut mir leid. Er kommt morgen um sieben Uhr.”
“Morgens oder abends?” fragte sie, stetzte sich an den Küchentisch und beschäftigte sich wieder mit ihrem Text über … ah, jetzt weiß ich es wieder … die Herkunft des Korans. Jaha. Ich war voll gebildet. Ich wusste sogar, dass der Koran die Bibel für Hindus war.
“Abends.” Ich stand auch auf und schnappte mir meine Jacke, um noch ein wenig spatzieren zu gehen.
“Wohin willst du?”
“Frische Luft schnappen. Bin gleich wieder zurück.” rief ich als ich die Tür hinter mir zuzog.
Ich hatte mir letztens meine aller aller erste Zigarettenpackung in meinem Leben gekauft. Ich hasste Zigaretten. Aber bei dem Scheißstress. Und nach diesem furchtbaren Abend mit Thomas und allem hab ich einfach nicht anders gekonnt.
Genüßlich zog ich einen tiefen Hieb ein. Aaaah. Es tat wirklich gut. Ich blies den Rauch aus und ging ein paar Schritte am Kai entlang. Puh. Das war eine stressige Woche gewesen. Und das alles war tatsächlich in nur einer Woche geschehen. Andere schrieben Bücher über soetwas oder drehten Filme darüber und ich? Ich erlebte das einfach mal so in einer Scheiß-Woche meines Lebens. Freaky.
Ich setzte mich auf den Steg und ließ die Beine runterbaumeln. Meine neuen Winchester Boots von Beaurdot, einer ganz unbekannten Marke aus New Jersey, streichelten zaghaft die Wasseroberfläche. Sie waren aus Gummi, also konnte ihnen das Wasser nichts anhaben.
Ich sah verträumt hinaus aufs Meer und dachte nach. Über Haden. Über meine Eltern. Über alles, was er und ich und Ash und Maggie und Luke und Ty und meine Mum gesagt hatten. Über das was Haden getan hatte. Über das was ich getan oder nicht getan hatte. Ich war fest davon überzeugt, eine Menge Fehler begangen zu haben. Und es war ein ungutes Gefühl das so genau zu wissen, aber die Vergangenheit nicht mehr rückgängig machen zu können.
Die warme Luft umkräuselte mein Gesicht. Ich schmiegte meinen Kopf hinein und schloss genüsslich die Augen, während ich noch einen Zug nahm. Als ich die Augen wieder öffnete nahm ich neben mir eine Bewegung wahr. Ich fuhr herum.
Da saß er. Mein ganz persönlicher Gott.
Haden hatte einen flauschigen schwarzen Pulli von S.Oliver an und ihn mit einer hellen, ausgewaschenen Jeans und hellbraunen Timberlands kombiniert. Er sah umwerfend aus, wie er so auf das schwarze ruhige Wasser starrte. Er hatte sich so leise bewegt, dass ich ihn nicht gehört hatte. Und jetzt saß er ganz dicht neben mir.
Ich beobachtete ihn und zog erneut an meiner Zigarette. Der Rauch umhüllte unsere Schatten.
Er drehte sich zu mir um und ehe ich mich versah, hatte er die Zigarette ins Meer geworfen und hielt die andere fordernd in meine Richtung. Ich drückte ihm widerwillig die Packung in die Hand und beobachtete wie er 10 Euro einfach so ins Meer warf.
“Rauchen passt gar nicht zu dir, Julie.” sagte er und wandte sich nun mit dem ganzen Körper zu mir.
“Wie kommst du darauf? Du kennst mich doch gar nicht.” Ich richtete meinen Blick wieder auf das Meer und wartete auf seine Antwort.
“Ich kenne dich sehr gut.” Ich blickte ihn wieder an.
“Nein, tust du nicht. Sonst hättest du dich mal früher gemeldet und entschuldigt und mich nicht wie Luft in der Uni behandelt. Das kann ich nämlich gar nicht ab!” fuhr ich ihn etwas zu gereizt an.
“Und komm bloß nicht auf die Idee zu behaupten ICH sei DIR aus dem Weg gegangen. Das wäre nämlich …”
“Hey. Ruhig. Ich will mich doch jetzt entschuldigen.”
Ich zog eine Augenbraue hoch und wartete.
“Also, ich habe mich sehr kindisch dir gegenüber verhalten. Ich konnte mich nicht entscheiden, was ich will und dann habe ich einfach … den genau falschen Weg gewählt und dich hängen gelassen, obwohl du mich so gebraucht hast.” Er sah mir nicht in die Augen. Unglücklicherweise hatte er seinen Blick auf seine kümmerlich gefalteten großen Hände gerichtet.
“Haden. Ich wusste einfach nicht, was du vorhattest und wolltest und das alles kam so unglaublich verrückt und unglaubwürdig rüber.” Ich versuchte meine Worte zu sortieren, aber meine Gedanken schienen erst verstecken und dann fangen zu spielen.
“Julie.” Sein Ton schockte mich. Er war so sanft und so entschuldigend, wie er gar nicht sein durfte. Hadens Augen schauten mich schuldbewusster denn je an und ich wollte ihn in den Arm nehmen und selbst weinen, so traurig war das alles. Und so schön.
“Du darfst dich unter keinen Umständen bei mir entschuldigen, weil du nicht wusstest was mit mir los war. Die Schuld liegt nur bei einer einzigen Person. Bei mir!” Er nahm mein Gesicht in seine Hände und unsere Nasen berührten sich. Ich schloss die Augen.
“Du stinkst.”
Ich fuhr so schlagartig hoch, dass unsere Köpfe zusammenstießen.
“Nach Rauch.”
“Autsch.”, murmelte ich und hielt mir den Kopf.
“Tschuldigung.” Er grinste und gab mir einen Kuss auf meinen (stinkenden) Kopf.
“Nimmst du mich trotzdem?” fragte ich und wieder berührten unsere Nasen sich.
Er hielt inne und auch ich stockte plötzlich in meiner Bewegung.
“Was?” fragte ich und starrte ihn an.
“Hast du mit deinem Freund Schluss gemacht?” Sein Blick ließ kein Schweigen zu. Er war zu ernst. Trotzdem entschloss ich mich, blond wie ich war, auf mein Herz zu hören. Ich wollte Haden. Jetzt! Nicht erst übermorgen. Jetzt!
“Ja.” log ich und lächelte.
“Gut.”, flüsterte er und küsste mich sanft auf dem Mund.

Wir fielen auf sein Bett und er fuhr mit den Händen unter mein T-shirt, um es langsam hochzuschieben und auszuziehen. Dann küsste er mich am ganzen Körper und streichelte mich. Ich wollte ihn. Jetzt. Da war ich mir sicher. Es gab nur einen, den ich so liebte!
Ich bebte auf, als er plötzlich in mich stieß und krallte meine Fingernägel in seinen muskulösen Rücken, um mich von ihm verführen zu lassen.
“Ich liebe dich, Haden.”
“Das sagst du jetzt nur so. Du bist doch total zu von deiner Qualmerei.” Er lächelte.
Dann nahm er mein Gesicht in die Hände und schaute mir lange in die Augen.
“Ich dich auch, meine Julie.”
Zärtlich streichelte er meine Brüste und brachte mich mit langsamen Stößen zum Höhepunkt. Es war wunderbar. Und jetzt wurde es mir klar. Ich liebte ihn wirklich!
Als er in mir kam, lief mir ein warmer Schauer über den Rücken und ich bekam eine Gänsehaut. Aber ich war der allerglücklichste Mensch der Welt.
“Ich liebe dich, Kleines.” wiederholte er und küsste mich. Seine weichen Lippen erschienen mir gottesgleich.
“Endlich sprichst du es aus. Ich hatte schon gedacht, du würdest deinen Text vergessen.” Ich grinste und er unterdrückt ebenfalls ein Lachen.

10. Kapitel

Ich kroch wieder einmal erst früh am Morgen zu Tyler ins Bett. Diesmal aber mit dem Unterschied, dass ich glücklich war. Sehr glücklich. So glücklich, dass ich es rauslassen musste. Ich konnte gar nicht schlafen.
Mh. Tanzen? Um sechs Uhr morgens war laute Musik keine so gute Idee. Also musste ich es jemandem erzählen.
“Ty! Ty!” rief ich und rüttelte an einer Mumie, die ich meine beste Freundin nannte.
“Was?” nuschelte sie so verwirrt, dass ich befürchtete sie hätte über Nacht Demenz bekommen.
“DU!” Die Lautstärke, mit der sie mich ansprach, übertönte all meine Vorstellungen von lauter Musik.
“Nicht sauer sein, bitte. Ich bin nämlich …”
“NICHT SAUER SEIN?” Sie richtete sich kerzengrade im Bett auf und ich bekam schon ein bisschen Angst bei ihrem Anblick.
“ICH SOLL NICHT SAUER SEIN, WENN ICH BIS 4 UHR MORGENS WACH HIER RUMSITZE UND MICH FRAGE, OB DU WOHL NOCH LEBST?” Sie sagte es nicht, sie schrie.
“So schlimm?” fragte ich und begann zu merken, dass sie sich anscheinend wirklich Sorgen gemacht hatte.
“JA!”
“Oh. Tut mir leid”, gab ich kleinlaut zu. Sie grunzte zur Antwort und rieb sich die Augen.
“Willst du es mir vielleicht morgen erzählen?”
“Nein.” Ich jaulte fast. “Das erduldet keine Aufschiebung.”
Sie strafte mich mit dem sehnlichsten Blick, der dem einer sechzehn-Jährigen vor einer Matheklausur zu stark ähnelte.
“Bitte freu dich jetzt einfach für mich.” Sie verzog keine Miene. Scheiß Zeichen. “Ok?” fragte ich zögerlich.
“Noch dieses Jahr, bitte.” knirschte sie entnervt zwischen den Zähnen hervor.
“Mh”, machte ich um Spannung zu erzeugen, was mir vollkommen misslang. “Ich. Habe. Mit. Haden. Geschlafen.”
“WAS?” Sie schrie schon wieder. Aber mehr als ein “Grrgngn” bekam ich nicht heraus, da sie mich gerade so fest an sich presste, dass ich weder Luft noch Sauerstoff bekam. Ach, verdammter Chemie-Unterricht.
“Du hast was was was?”
“Mit H-H-Ha-Haden ge … öaaargh.” Der Sauerstoff in meinen Lungen war endgültig verbraucht.
“Oh, Julie!” Ich zappelte mit den Armen um mich aus ihrem Würgegriff zu befreien.
“Oh, Julie!” wiederholte sie und sah mir tief in die Augen. Ich bekam ein ungutes Gefühl.
“Ja?” krächzte ich.
“ICH BIN JA SOOO GLÜCKLICH!”
Sie schien es ernst zu meinen. Wieso? Und wieso war sie auch noch glücklicher als ich? Ich meine, wow, ich war ja schon verdammt glücklich. Was war sie denn dann?
“Wie ist es gewesen? War er vorsichtig? Wie hat es sich angefühlt?”
“Ty, es war nicht mein erstes Mal, ok?”
“Oh, ja, richtig. Ich vergaß Jonas.” Sie stoppte. Ich hörte auf zu atmen. Scheiße. Jonas.
“Du hast doch wohl … Hast du? HAST DU ETWA …” Sie schrie schon wieder. Ich war so ein Jammerlappen. So ein hoffnungsloser Fall. So ein verdammt nutzloses Sandkorn in der Wüste.
“Was?” fragte ich unschuldig.
“JULIE!”
“Ja, ich … äh … ich ich …”
“Hör sofort auf zu stottern und erzähl mir die Wahrheit! Du dummes dummes Mädchen. Wie kannst du nur? Hab ich dich so erzogen? Und so zeigst du mir, dass ich alles richtig gemacht habe als deine beste Freundin? Verdammt, nein, Julie! Du zeigst damit nur, dass du noch lange lange LANGE nicht erwachsen geworden bist.” Sie stöhnte und legte das Gesicht in die Hände. Dann schaute sie mich kopfschüttelnd an. Und ich hatte auch noch das Bedürfnis sie zu trösten.
“Ty …”
“Julie.”
“Es ist nicht so einfach …”
“Doch, das ist es. Ein Anruf hätte gereicht. ‘Hey, Jonas. Ich bin es. Julie, deine Freundin. Weißt du, ich hab nachgedacht’ und bla bla bla. Mein Gott, Julie. Es ist so verdammt einfach, dass es sogar ein geistig behinderter, taub-stummer Affe hinbekommen hätte. Du versagst auch wirklich immer.”
Ich seufzte.
“Aber”, murmelte sie, “als ich deine beste Freundin wurde, habe ich mich dazu verpflichtet, dir in all diesen Scheiß-Situationen beizustehen und dich zu unterstützen. Egal wie furchtbar unnormal und ethisch verwerflich sie sind. Du Dummerchen, ich liebe dich doch.” Sie nahm mich fest in die Arme.
“Danke, Ty. Aber, ich weiß, was ich für ein Liebes-Monster bin. Ich weiß genau, dass das total unmoralisch war und …”
“Was genau heißt denn unmoralisch?”
“Äh … du hast mich aus dem Konzept gebracht. Aber, das weiß doch jedes Kind. Unmoralisch ist … wenn ich dich jetzt schlagen würde.”
“Das wäre allenfalls dumm. Weil ich dich dannach killen würde.” Wir lachten.
“Heute kommt Jonas.” Mein Lachen verstummte. Sie gähnte nur laut und streckte sich. “Aber …” sagte ich.
“Genau. Aber jetzt werden wir erstmal etwas schlafen.” Sie löschte das Licht und kuschelte sich unter ihre Decke.
“Aber, Ty, was soll ich denn Haden sagen?”
Sie antwortete mit einem lauten Schnarcher.

Er klingelte zaghaft an der Tür. Punkt sieben Uhr. Er war schon immer die Pünktlichkeit in Person gewesen. Streber!
Eigentlich könnte ich ihn auch ganz gut da draußen sitzen lassen. Haden kannte ihn ja nicht, also würde er ihn auch nicht erkennen und … aber wenn er ihn zu sich reinbat und Jonas ihm erzählte, wer er war … DINGDONG.
“Verdammt, ich komme ja schon.” rief ich und stürmte zur Tür. Davor zögerte ich zwei Sekunden, um das ganze nochmal zu überdenken.
Da wurde ich mit einem Ruck nach hinten geworfen, als die Tür mir entgegenkam.
“Scheiße!” fluchte ich.
“Sry.” sagte Ty.
“Schatz.” sagte Jonas.
“Scheiße.” wiederholte ich nur.
“Hey, ich hab Jonas vor der Tür angetroffen. Warum machst du dem armen Kerl denn nicht auf, Julie?” Warum fiel ihm denn Ty’s dämliches Grinsen nicht auf? Warum merkte er nicht, was hier abging? Achja. Weil er nur Augen für mich hatte.
“Ich lass euch beiden Mal ein bisschen allein.” Schon wieder grinste sie hämisch, verschwand dann aber mit ihren großen Einkaufstaschen in der Küche.
“Julie, mein Schatz. Ich hab dich so sehr vermisst.” Schmalz, schmalziger, Jonas!
Ich wagte nicht aufzugucken. Was, wenn er hässlich geworden ist?
“Hey, Jules. Schau mich an, Liebes.”
Würgh. Ich blickte zu ihm hoch und hielt mir die pochende Stirn, während ich aufstand.
“Hey”, murmelte ich und sah ihn an. Er war immer noch hübsch. Verdammt.
Kurze Haare, Sunnyboy-Lächeln, Vorzeige-Zahnarzt-weiß-Zähne, strahlende Augen und einen Jonas da dran. Mpf.
“Ich … ich liebe dich.” sagte diese Versuchung in Person und versuchte mich zu küssen. Ich wich ihm aus und schaute auf den wunderschönen Boden.
“Julie?”
“Ich bin nicht mehr die selbe, Jonas. Glaubst du nicht, dass ich mich nicht ein wenig verändert habe in der ganzen Zeit, die wir uns nicht gesehen haben?”
Ich zweifelte, dass er verstand, was ich sagen wollte, das sagte mir schon sein ‘Ich-verzeih-die-alles-Grinsen’. Würghh.
Als Antwort küsste er mich. Verdammt. Ich liebe Haden. Ich liebe Haden. Ich liebe Haden, dachte ich und entfernte mich langsam von Jonas.

Beim feucht-fröhlichen (es war scheiße) Spaghetti-Essen (versalzen) mit der Familie (Ty uns Jonas) klingelte es aufeinmal an der Tür.
“Nanu?” sagte Ty und tat erstaunt. Dann legte sie ihre Servierte beiseite und sprintete zur Tür.
Ich starrte auf meinen Teller und versuchte mich wegzubeamen, als ich Hadens Stimme hörte.
“Hey …” Ich schaute auf. Haden war kreidebleich. Ich warscheinlich knallrot. Ty grinste und ich wollte sie schlagen. Nur Jonas sagte nichts und schien auch nicht zu registrieren, was hier abging.
“Hallo, ich bin Jonas.” Er stand auf und streckte Haden, ganz der wohlerzogene Junge, seine Hand entgegen. Aber Haden sah sie an, als wäre es ein Haufen Kakerlaken und ich konnte es ihm nochnicht einmal verübeln. Jonas Grinsen entwich nicht, als er seine Hand sinken ließ und sich wieder setzte.
Aber Haden stand immer noch wie versteinert da. Sogar Ty hörte endlich auf zu grinsen und schien nun ernsthaft über eine sinnvolle Lösung dieses Problems nachzudenken.
“Jonas, Ty? Entschuldigt ihr uns kurz?” fragte ich zögerlich. Doch sie hatten keine Chance zu antworten.
“Ist er das?” fragte Haden und die Wut zeichnte sich mehr als deutlich in seinem Gesicht ab.
“Ist wer was?” Jonas war immer noch die Ruhe selbst und ich wünschte mir von ganzem Herzen für ihn, er würde einfach verschwinden.
“Ist das der Looser? Ist er das?” Haden guckte mich wutentbrannt an. Die Tränen drängten sich so sehr in meine Augen, aber ich unterdrückte sie.
“Nennst du mich einen Looser?” fragte Jonas und stand wieder auf. Auch sein Lächeln wandelte sich nun in einen grimmigen Ausdruck.
“Julie, wer ist das?” fragte er. Aber ich konzentrierte mich auf Haden. Ich wollte ihn unter keinen Umständen verlieren.
“Das ist dein Freund, Julie? Der, mit dem du Schluss gemacht hast? Der Waschlappen?” Haden kreischte. Und ich trat näher, aber er wich zurück.
“Scheiße, Jules, was geht hier vor? Wer ist der Kerl?”
“Jonas? Ich glaube es ist besser, wenn du jetzt gehst”, wollte sich Ty einmischen, aber er winkte nur ab und glotzte mich an.
“Haden, das ist Jonas, mein Freund. Jonas, das ist Haden, mein Freund.” Ich blickte auf den Boden.
Stille.
Eine unglaublich erschütternde, grauenhafte Stille.
Mörderische, betrügerische, hinterhältige, SCHEIß STILLE!
“Hey”, sagte ich und versuchte irgendwie den Abend zu retten, doch das misslnag mir gründlich.
“Roaaaarrr”, machte Haden und stürtzte sich auf Jonas. Dieser wich ihm verdammt schnell aus, sodass Haden mit dem Tisch zusammenstieß. Ty keuchte entsetzt auf. Ich musste etwas unternehmen, bevor sie sich noch gegenseitig töteten.
“Leute, ich glaube, es wäre besser, wenn …”, doch Jonas unterbrach mich, während er Haden am Kragen packte und auf den Boden drückte.
“Sie hat Recht, HADEN. Es wäre wohl besser, wenn wir das draußen regeln.” Haden sprang auf und stieß dabei mit seinem Hinterkopf gegen Jonas’ Gesicht.
“Scheiße, mann! Das meinte ich doch gar nicht. Es wäre besser, wenn ihr das hier BLEIBEN LASST.” Vergeblich versuchte ich hinter ihnen herzuschreien, doch sie waren schon unten auf der Straße und balgten sich wie kleine Kinder. Oder verspielte, bescheuerte scheiß Welpen. AAAARGH! Ich rannte die Treppe hinunter, dicht gefolgt von Ty. “Du kannst sie nicht aufhalten,” keuchte sie hinter mir und ich hielt abrupt, weil mir das alte Ehepaar aus der Kellerwohung entgegenkam. Mh. Ich dachte immer die wären schon längst abgekra … – RÄUSPER – verstorben.
“Wichser.”
“Arschgesicht.”
Faust.
Faust.
Bein.
“Kackwurst.”
“Scheißkerl.”
“Mistkerl.”
Bumm. Bumm. Bumm.
“Auuuuu.” Jonas heulte auf und endlich löste sich die Staubwolke um die beiden herum auf. Ich bekam freie Sicht auf Jonas zerbeultes Gesicht, inklusive gebrochener Nase und Hadens triumphierende Faust, die zögernd über Jonas Gesicht thronte und mich dabei angrinste.
“Na? Na? Soll ich? Soll ich ihm den letzten Schlag geben.” feixte er und er schien sowohl belustigt, als auch extrem erbost. Ok, er schien nicht belustigt.
Ich starrte Jonas an. Ty nahm mir die Antwort ab.
“Nein, du Spinner,” schrie sie und kratzte Haden von Jonas runter, der sich gaaaaanz langsam (wie ein Zombie) aufrichtete und seine Nase betastete. Haden sah aus, als hätte er noch nicht einmal einen Kratzer abbekommen. Und was war das? Das war doch nicht? Nein, das konnte doch gar nicht sein. Ich kniff die Augen zu engen Schlitzen zusammen. Das war tatsächlich ein kleines, winzig kleines Grinsen. Zack! Weg war es wieder.
“Julie? Was starrst du mich denn so an?”
“HADEN!” schoss es aus mir heraus.
“DU! DU! DU!”
“Was denn?” fragte er und schon wieder dieses schelmische Grinsen. Aber seine Wut war größer als die kleine Belustigung, das Grinsen wich. Und das Schlimmste war: er war wütend auf mich!
“Das war’s dann wohl, Jules. Ich bin weg.” Jonas fummelte an seinem Handgelenk herum und ich erblickte unser Freundschafts-/Liebesarmband. Er warf es auf den Boden.
Mann, keine Manieren besaß der Kerl. Jetzt musste ich mich auch noch bücken. Und das mit meinem neuen Minirock. Verdammt. Obwohl … mein weinroter String aus Glanzlack konnte sich schon sehen lassen. Und bücken. Hoffentlich hatte Haden hingeguckt.
Ich richtete mich wieder auf und blickte erwartungsvoll in mein kleines Publikum. War ja klar. Es hatte sich in Luft aufgelöst. Jonas brauste gerade mit seinem unglaublich hässlichen grünen 89er Chavey (den hatte ich noch nie leiden können) ab und Haden und Ty sah ich nur noch auf der Treppe verschwinden.
Ich war aber auch eine Versagerin. Jetzt hatte ich sie alle vergrault. Ob es an meinem String lag? Nein, entschied ich. Das musste wohl an dem gesamten heutigen Abend und seiner Vorgeschichte liegen, dass auf einmal alle das Weite suchten und mich hier allein stehen ließen.
Ich schlang die Arme um meinen Körper. Es war noch nicht alles kaputt, sagte ich mir und erwartete, dass es besser wurde. Aber das miese Gefühl und die ansteigende Übelkeit blieben. Leider.
Ich entschied, das Reingehen die beste Möglichkeit sei, um meinem jämmerlichen Dasein einen Start in ein neues Leben zu gönnen, und befolgte meinen Rat sogleich.
“Ty,” rief ich, als ich durch die offene Wohnungstür trat und sie wider Erwarten nicht am Küchentisch sitzen sah. Ich schaute mich um und sah Hadens geschlossene Wohnungstür.
“TYHYYYY!”
Keine Antwort.
“Mann. Alles muss man hier selbst machen. Selbst das “Mich-Trösten” muss ich jetzt selbst übernehmen. Was für ein F-. Mh. Das sagt man nicht, Julie. Scheiß Selbstgespräche. Verschwinde, du dummes Ich.
Hey, ich bin du. Ich kann nicht verschwinden.
Saublöde Julie. Das ergibt doch alles Sinn. Wenn du du bist, kannst du nicht einfach weg und dich hier lassen.
“AAAAAAHHHH. Ich werde verrückt.” Ich brüllte hysterisch und rannte dreimal im Kreis, die Arme um den Kopf geschlungen, damit diese Einbildungen ja nicht wieder den Weg in mein Gehirn fanden, und warf mich schließlich auf mein Bett. Ich begann zu weinen. Aua.
Das Leben disst dich inzwischen auch täglich, was? Verdammt. Verdammt. Verdammt.
“Julie?” Haden?
Ich blickte auf. Es war Ty. Mh. Auch gut.
“Ja?” Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und musste entsetzt feststellen, dass meine neue WASSERDICHTE Schminke ihren ersten und letzten Test nicht bestanden hatte. Bestanden Tränen etwas nicht aus Wasser? Ich mein sie war doch WASSERdicht, oder? Oh.
“Julie? Du siehst abwesend aus, meine Liebe. Ich rede mit dir.” Wie sooft.
“Nein, ich hab dir zugehört.”
“Was habe ich denn gesagt?” Misstrauisch beäugte sie mich, während sie sich zu mir aufs Bett setzte.
“Ähm. Du hast gesagt, dass ich nicht das Recht habe Haden und Jonas so zu verletzen.”
“Wow, du scheinst mir wirklich zugehört zu haben.” Ha! Gut geraten, Julie! Kurzes imaginäres Klopfen auf die Schulter.
“Dabei haben sie sich ja eigentlich gegenseitig verletzt, wenn man es genau betrachtet.” murmelte ich.
“Und, wenn man es genau betrachtet, dürfte ich nach dem ganzen Scheiß hier aus moralischer Sicht gar nicht mehr mit dir befreundet sein, du Versagerin.” Verdammt.
“Okay”, murmelte ich
“Schön wie einsichtig diese Hornochsen sein können.”
Ich ließ ein Knurren vernehmen. Ty begann zu lachen und nahm mich in die Arme. Ich drückte sie ganz fest und spürte, wie glücklich ich war, sie zu haben.
“Okay, Jules. Ernste Lage. Was wirst du tun?”
“Mich bei ihm entschuldigen?” Ich schluckte, weil ich wusste, dass alles was ich getan hatte, eigentlich unverzeilich war.
“Zu wenig.”
“Auf Knien vor ihm rumrutschen und um Gnade winseln?”
“Zu wenig.”
“Seine Wohnung heimlich mit tausend Herzchen-Ballons mit der Aufschrift ‘Entschuldigung’ schmücken?”
“Wäre doch schon mal ein Anfang. Obwohl. Ich vergaß, er ist ja nicht mehr schwul. Also keine gute Idee. Zu wenig.”
“Oaarrr, Ty …” heulte ich rum.
“ZU WENIG!” Sie stand auf und rieb sich die Schläfen, während sie um das Bett herumschlich.
“Mh.” machte ich, um wenigstens so zu wirken, als würde ich auch nachdenken.
“Julie, lass diese ‘Mh’-Geräusche. Ich weiß, dass du nicht ernsthaft darüber nachdenkst, weil du weißt, dass ich mir gerne den Kopf für dich zerbreche.” Verdammt, ertappt.
“Tschuldigung”, murmelte ich.
“Warte. Gleich hab ich es. Mhhhhh.” Meine beste Freundin setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und begann zu meditieren.
“Äh, Ty?”
Keine Reaktion.
“Ty?”
Immer noch keine Reaktion.
“ICH HAB ES.” schrie sie plötzlich.
“Was?” schrie ich zurück.
Sie riss die Augen auf und grinste mich an.
“Haha.”
“Was, Ty?” Ich schüttelte sie.
“Hahahaahaaaaa.” Sie lachte immer mehr und allmählich glaubte ich zu verzweifeln. Welche war doch gleich die Nummer der psychatrischen Klinik?
“Ich hab nur versucht die Stimmung zu lockern bevor ich diese BOMBE loslasse.”
Ich starrte sie an.
“Diese Bo-o-o-mbe.” Hatte das Wort Bombe echt drei ‘Os’?
Ich ließ die Augenlider sinken und gab Schnarchgeräusche von mir.
“JULIE.”
Sofort war ich wieder hellwach, auch, wenn ich nicht wirklich geschlafen hatte.
“BOMBE.”
“Danke, Ty. Ich glaub jetzt weiß es sogar der Kleiderschrank.”
“Oh. Also …”
“Waaahaaas?” Ich hüpfte vom Bett und schüttelte sie wieder.
“Ok, ok. Also ihr werdet heiraten.”
“Bitte was?”
“Heiraten. Bombe.”
“BITTE WIE??? Und hör auf ‘Bombe’ zu sagen, nur so nebenbei.” Ich rang nach Fassung. Das hatte ich gerade falsch verstanden.
“Wer wird heiraten?”
“Haden und du.”
“Wieso? Wie? Warum?” Wo war die Fassung hin, ich fand sie nicht wieder. Funktionierte ein Leben ohne Fassung eigentlich?
“Weil du ihm einen Heiratsantrag machst natürlich, darum.” Sie grinste so wunderbar, als würde sie nicht auch nur im Entferntesten mit der Person verwandt sein, die diese Idee gerade ausgesprochen hatte.
“Weil das deine einzige Chance ist ihn zu bekommen. Kein Junge dieser Erde würde einen Heiratsantrag ablehnen, wenn er das Mädchen wirklich liebt, das ihm den Antrag macht. Keiner.” Sie war so unglaublich überzeugt.
“NEIN.” schrie ich entsetzt.
“Wieso? Es ist genial.”
“NEIN!” erwiderte ich wieder. “Das kann ich nicht. Es ist gegen meine Würde sowas zu tun. Das ist verdammt nochmal JUNGENSACHE!”
“Oh Gott, Prinzesschen. In welchem Jahrhundert lebst du denn? Man kann inzwischen sogar schon Hosen tragen als Frau.”
“Was du nicht sagst. Aber keine Heiratsanträge machen! Mann, Ty. Das zerstört meine Kindheitsträume”, quengelte ich.
“Du meinst wohl: Kindheitstraumata.”
“Ich hab mich so darauf gefreut. Mein ganzes Leben lang hab ich mir vorgestellt wie es sein würde. Wie er aussieht. Perfekt natürlich. Und mal war es in New York, auf dem Empire State Building. Mal auf Hawaii unter Palmen am Strand, wo wir nackt im Sand lagen. Es war immer so wunderschön in meinen Träumen. ABER IMMER HAT ER GEFRAGT.”
Sie funkelte mich an.
“Wach auf, Julie. Das hier ist die Realität, meine Süße. Kein Traum. Wenn du ihn nicht fragst, hast du ihn verloren. Und das wäre jammerschade, weil ihr echt gut zusammenpassen würdet. Und eure Kinder. Die wären sowas von schön.” Sie blickte verträumt an die Decke, als würden dort irgendwelche Kinder hängen.
“Aber …”
“Nichts aber! Er hat eben um dich gekämpft. Er war verzweifelt. Er liebt dich. Und er wurde schwer von dir verletzt. Du bist die einzige, die ihm jetzt noch helfen kann. Wirklich. Glaub mir.”
“Aber mein weinroter String. Habt ihr den gar nicht gesehen? Der war doch Trost genug, um …” Da wurde mir schlagartig die Bedeutung Tylers Worte bewusst. Und sie hatte recht. Wie sooft.
“Stimmt.” murmelte ich, während ich mir meiner Situation langsam aber sicher bewusst wurde.
“Ich weiß.” antwortete sie ein wenig zu selbstgefällig.
Ich schwieg.
“Und was deinen weinroten String angeht … Der würde auch in dieser Nacht noch gut zur Geltung kommen können. Gib ihm eine Chance.” Sie grinste und zog mich nach oben.
“Jetzt?”
“Natürlich. Oder willst du warten bis er in seinen Tränen ertrunken ist?”
“Er weint?” fragte ich völlig schockiert.
“Er hat eben ein oder zwei Tränen vergossen als wir die Treppe hoch gegangen sind.”
“Oje.”
“Genau. Und deswegen gehst du jetzt.”
“Warte. Ich hab doch gar keine Ringe.”
“Oh, das wird nicht so schlimm sein, glaube ich.”
“Aha.”
Doch es folgte keine Erläuterung dieser Aussage. Tyler beschenkte mich lediglich mit einem Grinsen, das sowohl ‘Geh jetzt’, als auch ‘Du wirst schon sehen’ sagte.
“Ok.” murmelte ich und ging zu Hadens Tür. Ich drehte mich noch einmal um und sah wie Tyler aufmunternd lächelnd unsere Haustüre schloss.
Ich war gefangen. Sie würde mich nicht mehr hereinlassen bis ich ihm einen Antrag gemacht hatte.
Ich klopfte.
Scheiße. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Fresse, Gedanken. Scheiße. Scheiße. Sch …
“Hi, Haden.”
Er schaute durch mich hindurch mit einer Gleichgültigkeit und Traurigkeit, die mich erschütterte.
Ich fiel vor ihm auf den Boden. Meine Knie schmerzten, aber es war mir egal, denn ich liebte ihn.
“Haden. Ich liebe nur dich.”
Keine Raktion. Starren.
“Es gibt keinen Menschen auf der Welt, den ich je haben wollen würde, wenn ich dich nicht bekommen könnte. Niemals. Und niemanden.”
Der Ansatz eines Lächelns … ja, ja … und weg.
“Und aus diesem Grunde möchte ich dich fragen …” Ich räusperte mich. “Ob du mich heiraten möchtest.” Ach nein. Wie furchtbar. Er liebte mich doch gar nicht. Wir waren ja noch nicht einmal zusammen. NICHTS.
Er schlug mir die Tür vor der Nase zu.
Ratsch. Da war es durch, mein Herz. Kaputt. Einfach so. Für immer.
Ich ließ den Kopf auf den Boden zuschnellen. Bumm. Kein Schmerz. Nichts konnte den Schmerz in meinem Herzen überdecken. Nichts.
Zack. Was war das. Ich blickte auf. Haden kam heraus und knallte die Tür zu. Ohne mich eines, auch nur eines winzigen, Blickes zu würdigen ging er die Treppe hinunter und nach draußen.
Ich heulte. Wie ein Schlosshund. Es war so schrecklich.
Bummbumm. Bummbumm. Mein Herz? Nein, nur das Pochen des stechenden Schmerzes in meinem Kopf.
Zack. Da stand er wieder vor mir. Mein Gott. Mein ganz persönlicher unerreichbarer Gott. Für immer unerreichbar. Warum hatte ich meine Chancen damals einfach so weggeschmissen? Als er mich noch wollte. Wieso?
Aber mein Gott ging nicht an mir vorbei, nachdem er die Tür aufgeschlossen hatte. Er stieg nicht über die Leiche seiner jungen unbedeutsamen Nachbarin und Studienkollegin hinweg um in seine Wohnung zu gehen und Fernsehen zu gucken. Er blieb STEHEN.

11. Kapitel

Wow. Obwohl ich das Gesicht immer noch auf dem Boden hielt, wurde ich von seiner Schönheit geblendet. Warum war ich nur früher immer so blind gewesen? Warum?
“Wahre Liebe.” Seine Stimme berührte meinen Körper wie ein seidenes Tuch und ich bekam Gänsehaut. Aber ich wagte immer noch nicht aufzublicken, aus Angst, mein Blick könnte seine gläseren Schönheit zerstören.
“Ich lehne deinen Heiratsantrag ab.”
Ein weiteres Ratsch.
Konnte man mit einem dreigeteilten Herz noch leben?
Ich würde es nicht ausprobieren wollen. Das wurde mir plötzlich klar.
Wenn ich ihn nicht hatte, dann würde ich ihn nie bekommen. Niemals. Und es gab keinen anderen Menschen auf dieser Erde, der meinem Gott, ich wagte es nicht seinen Namen auch nur zu denken, das Wasser reichen konnte. Sowohl in Schönheit, als auch in seinem wundervollen Charakter. Er war so unglaublich perfekt.
Wo kamen diese Hände her? Fremde Hände berührten meinen Körper. Starke Arme umschlangen ihn. Ich hielt die Augen geschlossen, als meine Füße vom Boden abhoben und mein Körper schwebte.
Es war nicht Haden, das wusste ich. Haden hasste mich nun. Ich war nicht mehr in seinem Leben. Für ihn war ich gestorben. Mein Gott würde sich niemals mit so etwas wie mir abgeben. Geschweige denn mich berühren. Und erst recht nicht mich auf seinen starken, unglaublich starken Armen zu tragen.
Dann lag ich auf dem Bett. Die Arme waren weg, mit ihnen das Gefühl des Schwebens, der Leichtigkeit.
“Julie, öffne die Augen.”
Ja, mein Gott.
Ich starrte ihn an. Er war es tatsächlich. Er hatte mich getragen. Ich durfte auf seinem Bett liegen.
“Ich liebe dich, Haden.”
Mir wurde bewusst, was ich gesagt hatte. Oh, nein. Ich wachte aus meinem träumerischen Dasein auf. Haden wollte nur mit mir befreundet sein. Sonst nichts. Und um diese Freundschaft zu beginnen hatte er mich auf sein Bett gebracht. Und ich hatte sie zerstört bevor sie überhaupt beginnen konnte.
“Warte hier.”
Gott verschwand.
Sekunden im Nichts.
Gott erschien wieder.
“Du machst mich fertig, Julie. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Aber mir bleibt keine Wahl, weißt du?”
Ich nickte und wieder hatte ich Tränen in den Augen.
Ich blinzelte und er hielt mir etwas vors Gesicht. Was …
“WAS …” schrie ich und rang nach Luft, Sauerstoff und vorallem Fassung. Ach, verdammt, die war ja schon weg.
“RING?”
Er hielt mir eine Schachtel mit dem schönsten Ring, den diese Welt jemals zum Vorschein bringen konnte, entgegen. Er war silber und mit Blümchen-Gravuren verziert. Und auf der Innenseite las ich meinen Namen. Dahinter war ein kleiner Designer-Schuh eingraviert. Es war der fantastischste Ring der ganzen Welt. Niemals würde es etwas Schöneres geben. Abgesehen von Haden. Welche mich gerade aus meinen Gedanken riss:
“Ich liebe dich.” Er lächelte. Ich verstand die Welt nicht mehr.
“Aber du musst mich doch hassen. Auf Ewigkeit.”
“Dich? Hassen? Ich habe dir gerade Ringe geholt. Wir heiraten.”
Ich war verwirrt.
“Ich könnte dich niemals in meinem ganzen Leben und meinem Leben dannach, niemals, hassen. Nie. Weil ich dich mehr liebe, als mein eigenes Leben. Mehr als meine Eltern. Mehr als jeden Menschen auf der Welt. Mehr als die gesamte Welt. Ich liebe dich, Julie.”
Er wollte mich küssen. Ich wich ihm aus. Verwirrt küssen? Ging gar nicht.
“Wieso das alles? Diese Frau? Ich wollte gerade kommen und dich wegen des Schlüssels fragen und …” Das Bild der Frau, das sich in meinem Kopf eintätowiert hatte wie ein Totenkopf, schien meine Gedanken mit seinem Dasein ersticken zu wollen.
“Das, Julie, war meine Schwester.”
“Du hast mir nie etwas von einer Schwester erzählt.” Ich war mehr als buff.
“Du hast nie gefragt. Sie war da um mich zu trösten und um mich zu beraten.”
“Wofür?”
“Wenn ich dir das erzähle …”
“LOS!”
“Für die Hochzeit.” Er hatte sie schon seit Ewigkeiten geplant. Er hatte die selbe Idee wie ich, äh, Tyler. Er wollte die Situation, unsere Liebe, mit einem Heiratsantrag retten. WIE SÜß!!!
“Oh mein Gott.” Ich fiel ihm in die Arme.
“Es tut mir soooo unendlich leid, was ich getan und gesagt habe, Haden. Ich liebe dich so sehr.”
“Ich dich auch.”
Ich lag auf ihm und streichelte seine muskulöse Brust, während ich seine Gesichtszüge beobachtete.
“Und dann der Schlüssel. Ich hatte dich betrunken im Flur gefunden. Du warst …”
“Was?” Entsetzt erstarrte ich in meiner Bewegung.
Er zögerte und füllte die Wartezeit mit seinem unbeschreiblich strahlend schönen Lächeln.
“Nichts. Ich habe dich in die Wohnung gebracht und ins Bett gelegt. Es ist alles in Ordnung.”
“Haben wir? Ich meine …” Hatten wir SEX GEHABT?
“NEIN.” sagte er schnell. Ich war zwar ein bisschen beleidigt, aber auch stolz, weil meine Gefühle mich nicht getäuscht hatten. Ich hatte gewusst, dass Haden so eine Situation nicht ausgenutzt hätte. Und ich hatte Recht behalten.
“Danke, dass du das für mich getan hast.”
“Ich war vorhin gekommen, um dir einen Antrag zu machen. Meine Wut auf Jonas war größer, als sie hätte sein sollen. Verzeih mir, bitte.”
“Bist du bescheuert? Er ist ein Arsch. Ein Schlappschwanz. Ein Versager. Gut, dass du ihm eins übergebraten hast.” Ich grinste und wuschelte ihm liebevoll durch die zerstreuten Haare.
“Nanana. Du warst ganze vier Jahre lang mit ihm zusammen. Du kannst nicht …”
“Schhhht”, machte ich und hielt ihm einen Finger auf den Mund. Er lächelte und schwieg.
“Jetzt wird gefeiert, dass wir uns lieben.”
“Noch nicht.” Er zog meine Hand von seinen Lippen und setzte sich auf. Ich saß auf seinem Schoß und er hielt meine Hand fest. Sein Blick wurde ernst.
“Julie? Möchtest du mich heiraten?”
TRAUM. TRAUM. TRAUM. TRAUM. TRAUM. TRAUM. TRAUM. TRAUM. TRAUM. TRAUM. TRAUM. TRAUM. TRAUM. TRAUM. Mehr als das. Ich war so unglaublich glücklich. Und plötzlich spürte ich kleine Stiche in meinem Herz. Es wurde genäht. Fest. Und da war nur noch Platz für einen, das wusste ich jetzt.
“Ja. Nichts lieber als das.”
Er küsste mich. Und es war nicht wie beim ersten Kuss. Es war überhaupt nicht wie irgendein Kuss, den ich je bekommen hatte. Es war viel besser. Ich war im siebten Himmel. Seine Küsse waren gigantisch. So zart, wie Schokolade. Und genau so süß.
Wow. Ich hatte noch nie Küsse mit Schokolade verglichen. Das zeigte schon wieder einmal, dass er der Richtige war.
“Danke.” murmelte er.
“Wofür?” fragte ich erstaunt und stützte mich auf meine Ellbogen um ihm besser in die Augen schauen zu können.
“Für alles. Dafür, dass du mich heiratest. Dafür, dass du Julie bist. Dafür, dass du jetzt ‘wofür’ fragst.” Er lachte und ich stimmte mit ihm ein. Mein Lachen wurde durch einen sanften Kuss erstickt und meine Konzentration auf jegliche sinnvolle Konversationen schmolz dahin.
Es war überhaupt nicht wie beim letzten Mal. Es war um einiges besser.

Er trug mich sozusagen auf seinen Armen durch unsere Liebe. Es war wie ein Gedicht. Es war sogar schöner. Mein Leben gab nun endlich einen Sinn. Noch nie in meinem GESAMTEN Leben war ich dermaßen glücklich. Noch nie. Niemals. Ich liebte ihn. Das wusste ich nun ganz sicher.
Es gab keinen Mann auf dieser Erde, den ich jetzt noch haben wollen würde, wenn ich ihn nicht hätte. Und dessen war ich mir so sicher, dass ich mich schon fragte, ob ich mir jemals einer Sache so sicher gewesen war. Ich war mir sicherer, als ich mir sicher war, dass meine Mutter wirklich meine Mutter war. Und das konnte bei mir schon etwas heißen, da meine Mum und ich uns fast immer und in allen Situationen, die einem das Leben so bieten konnte, glichen. In jeder Reaktion. Im Geschmack (Naja, fast immer!). Und im Aussehen. Sie war wie mein Zwilling (Fast).
Es war tatsächlich der siebte Himmel, in dem ich mich nun seit schon einer Woche befand. Haden war mein Gott. Die Welt der Himmel. Es gab nichts Schöneres als mein Leben auf dieser Erde.


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